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19. September 1938
Gestern Abend war die Rede des Führers im Radio. Die Welt hatte darauf
gewartet und steht jetzt unter dem Eindruck des Gehörten. Wenn doch nur
Frieden bliebe und nicht der zerstörende und verderbliche Krieg ausbräche!
"Ihr Deutschen in der Tschechoslowakei seit weder wehrlos noch verlassen!"
Haben sich unsere Deutschen dort unten nun bestärkt geglaubt, oder sahen die
Tschechen darin eine Bedrohung? Aus einem dieser beiden Gründe oder auch aus
beiden zusammen denke ich, sind die heute aus der Tschechoslowakei
gemeldeten drei auf die Deutschen ausgeübten Morde zu erklären. Wenn doch
nur Friede bliebe! Doch es wird überall so viel vom Krieg gesprochen, dass
ich bald an eine Unmöglichkeit der Vermeidung des Krieges glaube .
22. September an 1938
Große Ungewissheit und Spannung! Geht man auf die Straße, ist der erste
Blick den Zeitungsständen zugewandt.
"Wie steht es mit der Tschechen-Frage?“
Wieviel diese Frage wohl schon erörtert worden ist. Welch eine lächerliche
Auskunft geben doch die Zeitungen. Diese nichts sagenden Schlagzeilen!
"Das Drama in Sudetendeutschland rollt ab".
"Henlein greift zu den Waffen!"
Hitlers neuester Ausspruch: "Wenn Henlein verhaftet wird, bin ich der Führer
Sudetendeutschenlands!“
"Hitlerfahne über Sudetendeutschland! Prager Regierung zurückgetreten!" es
könnte in diesen heutigen Zeilen so viel freudiges liegen, aber da es nur
von den Zeitungen gebracht wird, darf man immer noch nichts endgültiges
annehmen. Ich verstehe auch zu wenig von Politik, um gescheit genug zu sein,
zwischen den Zeilen zu lesen.
Wenn doch Hitler nur auf den Vorschlag Englands, die ganze Frage auf
friedlichem Wege zu regeln, eingehen würde. Schade, dass die Unterredung des
Führers mit seinem englischen Gast nicht veröffentlicht wurde. Was wohl der
heutige zweite Besuch Chamberlains bei Hitler in Godesberg gebracht hat?
Warum werden uns solche Aussprachen vorenthalten? Könnte die Aussage Hitlers
uns vielleicht nicht passen? Oder warum?
Warum muss es eigentlich immer Kriege geben? Sollten die Menschen des 20.
Jahrhunderts, die sich rühmen, auf den Kulturstufen so weit voraus gekommen
zu sein, nicht endlich vernünftig werden! Müssen die Menschen nicht endlich
einsehen, dass Kriege niemals für die Gesamtheit von Vorteil sind, sondern
nur zerstörend sind und einen Rückschlag bringen auf allen Gebieten. Nur
einzelnen ist ein Krieg zum Vorteil. Sie haben die Möglichkeit, ihren
Geldbeutel noch voller zu pfropfen oder ihren Einfluss geltend zu
machen, wodurch sie Befriedigung finden. Für diese Einzelnen sollen die
vielen Menschen hingeopfert werden!
27. September 1938
Gestern Abend sprach der Führer über die deutsch-tschechoslowakische Frage
zum Volk und zur ganzen Welt. Hier in Hamburg war angeordnet worden, dass
die Rede in jedem Kino, Theater und allen öffentlichen Gebäuden übertragen
wurde. Ich habe sie mir auch angehört. Der Wichtigkeit halber habe ich mir
heute auch noch die Zeitung gekauft, um sie mir aufzubewahren.
Der 1. Oktober wird die Entscheidung bringen. Voller Spannung erwarten alle
diesen Tag! Was mag er uns bringen? Krieg oder Frieden? Wenn nur der
Sonnabend erst da wäre, damit diese entsetzliche Spannung ein Ende hat. In
das geschäftliche Leben hat die Kriegerische Stimmung gewaltige
Stockungen gebracht. Kein Exporteur wagt mehr, Aufträge aus dem Ausland
anzunehmen und zu buchen. Weiß er doch nicht, was bis zum Datum der
Verschiffung noch geschehen kann. Bei den Verladungen werden die größten
Vorsichtsmaßregeln getroffen. Entweder hält man die Ware zurück oder
versichert sie gegen Kriegsgefahr. Fast wöchentlich ist jetzt eine
Schwankung oder vielmehr Steigerung der Versicherungsprämie bezüglich
Kriegsgefahr festzustellen. Und wer weiß, ob die Dampfer Ende dieser Woche
überhaupt noch auslaufen.
Eine große Anzahl Männer und Frauen haben schon jetzt Aufforderung darüber
erhalten, wie sie sich am Mobilmachungstag zu verhalten haben. Wenn doch
dieser Mobilmachungstag nie eintreten würde. Ist es denn so unmöglich, dass
Herr Benesch seine Truppen aus dem Sudetendeutschen Gebiet zurückzieht?
Wollte man nach der Meinung unserer Presse urteilen, so sind wir wohl im
Recht. Aber schreiben unsere Zeitung auch die Tatsache? Übertreiben sie
nicht? Wenn man das nur wüsste! Sind Hitlers Forderungen nicht vielleicht
doch zu weit gehend? In einer englischen Zeitung schreibt das englische
Volk, nach der Rede eines Ausländers, die sehr gegen die britische Nation
eingestellt war, wie folgt: "warum wird uns diese Rede von unserer Regierung
vorenthalten? Wir wollen auch die Äußerungen der Ausländer erfahren, die
nicht auf unserer Seite stehen! Sind wir doch keine Nazis, denen man nur
immer das für sie günstigste erzählt!" |
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Hamburger Tageblatt, 28.9.1938 |
28. September 1938
Roosevelts Telegramm an Hitler und Hitlers Antwort!
Roosevelt: klar vernünftig und gut erscheinen mir die angegebenen Gründe.
Durch dieses Telegramm brachte er zum Ausdruck, was viele Millionen
Menschen, auch deutsche, denken und wünschen.
Hitlers Antwort: eine an den Haaren herbeigezogene Verteidigungsrede. Eine
Wiederholung dessen, was schon oft gesagt worden ist. Warum nicht eine
genauso knappe, eindeutige und große Antwort?
Was werden uns die nächsten Tage bringen?
Überall in den Exportfirmen herrscht eine überaus große Spannung. Geschäfte
werden nicht mehr abgeschlossen! Man beschäftigt sich nur noch mit
behördlichen Dingen. Da man oft auch dazu keine Ruhe hat, wird vielfach
überhaupt nichts getan. Es wird nur noch geredet oder gewettet: Gibt es
Krieg? Bleibt Friede? Neueste Nachrichten werden ausgiebig besprochen. Ein
Vertreter kommt: "Haben Sie Aufträge für mich?"
Antwort: "Nein oder vielleicht. Aber das interessiert jetzt nicht! Erzählen
Sie mir lieber die neuesten Berichte und Witze!"
Lange dauern diese Vertreterbesuche und keine Geschäfte bringen sie ein, nur
über Neuigkeiten wird gesprochen. Zu einer ernsten Arbeit sind die Menschen
viel zu nervös. Aber was soll man auch noch machen? Die Schifffahrtslinien
wissen nicht, ob die Dampfer noch ausgehen werden. Nach Möglichkeit behält
jeder Exporteur die Ware hier in Hamburg und nimmt sie auf Lager. Alle
englischen Banken haben die Annahme und Bevorschussung der deutschen
Dokumente verweigert, da sie von ihren englischen Hauptbüros entsprechende
Anweisungen erhielten. Der Pfund-Sterlings-Kurs ist in der letzten Zeit
gewaltig gesunken. Von gestern auf heute allein von 11,9 auf 11,8. Und dann
soll man noch Geschäfte machen! Furchtbar! Wenn doch nur erst Sonnabend
wäre.
29. September 1938
Gestern Abend englische Parlamentssitzung, in der Chamberlain über die
augenblickliche Kriegsfrage sprach. Schade dass wir kein Radio haben. In
diesen Tagen vermisse ich es sehr stark. Ich musste mir daher die Rede
erzählen lassen von Personen, die die Übertragung hörten, denn die Zeitungen
bringen wenig und was sie bringen, möchte man am liebsten immer mit einem
Fragezeichen versehen. Chamberlain sprach vor allem über seine Unterredungen
mit Hitler. In dem ersten Zusammentreffen habe Hitler die Abtretung des
Sudetenlandes an Deutschland gefordert. Nach seiner Rückkehr nach England
traf Chamberlain alle nötigen Maßnahmen, setzte sich mit Benesch in
Verbindung und erhielt die Zusage in der Antwort aus Prag. Erfreut, dass er
Hitler seinen Erfolg in Godesberg mitteilen konnte, fuhr er zum zweiten Mal
nach Deutschland. Aber was musste er erfahren? Während dieser zweiten
Verhandlung stellt sich heraus, dass Hitler noch mehr forderte. Er stellte
ein Ultimatum: das Sudetenland soll bis zum 1. Oktober von den tschechischen
Truppen geräumt sein. Am 1. Oktober soll gewissermaßen dass Sudetenland
unter die Oberherrschaft Hitlers gestellt werden. Chamberlain ist erstaunt
über diese neue Forderung, denn Verhandlungen werden ja schließlich nicht
darum geführt, dass man immer neue Forderungen stellt. Große Spannung nach
Chamberlains Abreise. Nach diesem Auseinandergehen glaubte man wohl nicht
an eine neue Zusammenkunft. Doch Chamberlain setzt sich wieder mit all
seinen Kräften für die Friedensverhandlungen ein. Schließlich wendet er sich
an Mussolini mit der Bitte, sich doch noch einmal mit Hitler in Verbindung zu
setzen und ihn zu bewegen, die Friedensverhandlungen nicht abzubrechen,
sondern erneut aufzunehmen. Das gelingt schließlich Mussolini. Und gestern
Abend während seiner Rede erhält Chamberlain das Telegramm Hitlers mit der
Aufforderung zu einer neuen Verhandlung zu erscheinen, die geführt werden
soll zwischen Hitler, Mussolini, Chamberlain und Deladier. Während seiner
Rede nimmt er weiter keine Notiz von dem eingetroffenen Telegramm, bis man
es ihm schließlich aufdrängt. Jetzt liest er es und verkündet es auch
gleichzeitig im Parlament, das ihm weiteren Erfolg wünscht in seinen
Friedensbemühungen. Bravo Chamberlain!
Heute nun fand die Unterredung statt. Es sollen bereits tschechische
Botschafter mit hinzugezogen worden sein. Mögen Chamberlains Bemühungen
nicht vergebens sein!
Leider weiß ich nicht, ob meine Ausführungen in allem richtig sind, denn
unsere Zeitung schreiben in vielen anders oder gar nichts und richtiger als
Zeitungsberichte sind die Mitteilungen über den Rundfunk immerhin noch. Vor
allem, da die Rede Chamberlains von London direkt übertragen wurde, glaube
ich an die Richtigkeit der Berichte.
30. September 1938
Die Verhandlungen zwischen den vier Staatsmännern kamen in der letzten Nacht
zum Abschluss. Heil Chamberlain! Die Beschlüsse sind in acht Punkten
zusammengefasst, die heute früh schon in Extrablättern mitgeteilt wurden.
Überall herrscht eine gehobene Stimmung. Endlich sind wir diesen
fürchterlichen Druck los. Diese Stimmung zeigt am deutlichsten, wie sehr das
Volk, alle Nationen den Krieg verabscheuen. Wie viele Menschen Ihnen im
Stillen wohl dankbar sind, Herr Chamberlain! Natürlich gebe ich zu, dass
nicht Chamberlain allein diese große Tat gelungen wäre, aber eines ist
sicher: der Anlass zu den Friedensverhandlungen kam von Chamberlain.
Die gefassten Beschlüsse wurden sofort der Prager Regierung übermittelt und
von dieser anerkannt. Hoffentlich geht nun der Einmarsch der deutschen
Truppen, der schon morgen am 1. Oktober beginnt, auch wirklich reibungslos
zu. Bis zum 10. Oktober soll die Räumung des Sudetendeutschengebiets jetzt
vollzogen sein. Bis Ende November sollen die Abstimmungen in den strittigen
Gebieten erfolgen.
Ferner brachte die heutige Abendausgabe folgende Schlagzeile: „Nie wieder
Krieg zwischen Deutschland und England!“ Wie weit diese Phrase ihre
Erfüllung findet, möchte ich noch dahingestellt sein lassen. Schon oft sind
im Ablauf der Geschichte ähnlich lautende Aussprüche bekannt geworden, an
die man sich nicht sehr lange gehalten hat. Vielleicht bleibt dieser Satz so
lange bestehen, wie die Staatsmänner, die eine derartige Äußerung gemacht
haben, leben oder vielleicht regieren. Vielleicht auch nicht einmal solange.
Aber daran wird wohl jetzt niemand denken. Man braucht es wohl vorläufig
auch noch nicht. Jedenfalls atmet alles auf. Das Geschäftsleben hat schon
heute wieder eine gewisse Belebung erfahren. Ab morgen gehen wieder Dampfer
aus, deutsche Dokumente werden wieder durch englische Banken akzeptiert und
bevorschusst, der Pfundkurs ist wieder gestiegen.
Ein höchst interessanter Artikel war heute im Tageblatt. Ein gewisser
Hermann Okras singt eine Lobeshymne auf Hitler, die geradezu haarsträubend
ist, da sie auf Unwahrheiten beruht, denn Hitler ist in diesen Tagen
wahrlich nicht der Friedensprophet gewesen. Außerdem verzapft sie einen
Kitsch in höchster Form. Abschrift:
"Der Gigant unseres Volkes, der größte, den je dieses Volk aus seiner Mitte
geboren hat, krönt in der Blüte seiner Jahre ein Werk, dass unsere besten
Patrioten immer nur im Traum gesehen haben. Der Gigant ist noch nicht über
sich selbst hinausgewachsen. Während die Füße fest auf seines Volkes Erde
stehen, streift seine Stirn schon die Sterne hoch zum Firmament. Er ist so
groß, dass alles Volk der Deutschen vor seiner Größe nichts als schweigen
kann. Er ist ein Mensch und doch kein Mensch mehr, denn er ist ein Mensch,
der Volk geworden ist in einer Person. Was alles deutsche Volk zusammen
aufbringt an heißer Leidenschaft, was alles deutsche Volk zusammen klingen
lässt an heißen Schlägen in heißen Herzen, was alles deutsche Volk an Kraft
in der Sehnsucht und der Liebe zusammen hat, das alles ist in diesem einen
Mann allein. Er ist ein Mensch und ist allein doch alles deutsche Volk in
sich!"
Zur Entschuldigung des Schreibers will ich annehmen, dass er betrunken war,
jedenfalls trunken vor Freude über die Erhaltung des Friedens. Anders kann
ich mir wirklich diesen Wahnsinn nicht erklären. An Hitlers Stelle würde ich
mir wahrlich derartige Zeitungsartikels verbieten. Was wohl das Ausland über
derartige Auswüchse denkt, bei denen die Vernunft des Menschen völlig hinten
an zu stehen scheint.
Na, alles andere soll mir schließlich gleichgültig sein: Es bleibt Friede!
19. Oktober 1938
Noch vor 14 Tage schrieb ich so sicher: es bleibt Friede! Und vorgestern
schreibt die Zeitung: „Wer nach der Überwindung der internationalen Krise
durch das Münchener Abkommen von einer beständigen Schönwetterperiode in der großen
Politik geträumt hat, ist sehr rasch auf dem harten Boden der Tatsachen
erwacht und sieht sich von herbstlichen Stürmern umbraust. Die großen
demokratischen Weltmächte sind von einem Rüstungstaumel erfasst, der diesmal
weniger von Programmen der Regierungen entfacht worden ist, sondern vielmehr
von einer Massenbewegung in den einzelnen Ländern ohne Rücksicht auf
parteipolitische Ideale getragen wird und dann ernste Beachtung verdient.“ |
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