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Wustrow 1910 bis 1919
Carola McRae |
Weitere Seiten über Wustrow:
Wustrow um 1900
Wustrow 1910
Wustrow 1920
Wustrow 1940
Wustrow 1945
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Weihnachtsfeier mit
Verwandtschaft um 1910
bei Familie Wolter .
Wir wollen im Folgenden die Spur der Familie von Wilhelm und Eleonora
Wolter über einige Jahrzehnte verfolgen. Wilhelm arbeitet 40
Jahre in der
Weberei von Wentz. Zuletzt ist er als "Schirrmeister" für die
Verwaltung allen Materials zuständig. Er stirbt mit 61 Jahren (1914),
kurz nachdem er die Nachricht erhalten hat, dass sein Sohn Willi
gefallen ist.
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Die Tochter Marie geht 1911 als Haushaltshilfe ins Rheinland. Bald
kommt sie ohne Mann aber mit Kind zurück nach Wustrow. Dies ist bei
der herrschenden Doppelmoral eine menschliche Katastrophe.
Wie mir scheint, ist aus der Sicht jener Gesellschaft nicht das
uneheliche Schwangersein das Schlimme. Denn kaum eine Frau aus den
verfolgten Spuren heiratet ohne das. Aber es muss sofort geheiratet
werden und das gelingt Marie Wolter nicht. Ihre Tochter Charlotte wird
von der Schwester Elisabeth adoptiert, die ordnungsgemäß in Wustrow
mit Rudolf Ortwein verheiratet ist. Für das Mädchen Charlotte ist
zunächst die Welt soweit in Ordnung. Aber es wird in Wustrow bekannt,
dass der leibliche Vater Jude ist. Wie sie die späteren Jahrzehnte in
Wustrow erlebt hat, wollte sie leider nie erzählen. Sie ist heute 94
Jahre und lebt in Hamburg.
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Wir bleiben noch bei weiteren Kindern von Wilhelm und Eleonora
Wolter. |
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Der älteste Sohn
Willi Wolter geht 1913 zum Militär, vielleicht einfach, weil er
eingezogen wird. Aber aus seiner Post lässt sich vermuten, dass er die
Welt sehen will und froh ist, aus Wustrow wegzukommen.
Stolz berichtet
er der Schwester von seiner Leistung und
der ihm zuteil
werdenden Anerkennung.
Auch dass es zum Krieg kommen kann, scheint ihm 1913 kein unangenehmer
Gedanke. Im September schreibt er aus Neumünster in
Schleswig-Holstein:
"Weißt Du eigentlich, dass ich beim Preußen bin
oder weißt Du es gar nicht. Nun mir gefällt es als
königlich-preußischer Musketier gut. |
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Mein Wunsch ist ja eigentlich nicht in Erfüllung
gegangen. Wie Du wohl weißt, wollte ich ja gern zur Marine. Aber das
ist mal nichts geworden. Wer weiß, ob ich bei der Marine die Chancen
gehabt hätte, die ich hier habe. Denn Musketier Wolter ist hier als
verteufelt strammer Kerl bekannt. Wenn's mal ...
eine schwierige Aufgabe zu erledigen gibt, habe ich auch nie gefehlt.
Gewiss, der Dienst ist auch oftmals schwer, aber mit dem uns eigenen
Soldatenhumor wird alles fertig gebracht. " |
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Der vollständige Brief im Wortlaut: |
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Vom April 1914 ist noch ein ähnlicher
Brief erhalten.
Im August gehört Willi Wolter als Unteroffizier zu den
deutschen Armeen, die ohne Kriegserklärung Luxemburg besetzen und,
nach den wechselseitigen Kriegserklärungen der europäischen Mächte,
Belgien in das Deutsche Kaiserreich eingliedern wollen. |
Willi überlebt die Einnahme von Lüttich.
Es wird weiter marschiert. Aber erbittert verteidigen die Belgier ihr
Land. Unter heftigen Gefechten erreicht Willi noch die Gegend um
Antwerpen. Dann fällt er, bevor der grausige Stellungskrieg so richtig
beginnt.
Wilhelm Wolter ruht auf der Kriegsgräberstätte in Vladslo (Belgien).
Endgrablage: Block 10 Grab 1471.
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Willis Bruder Ernst Wolter (geb.1895) entgeht dem Ersten Weltkrieg, weil
er eine kleine Landwirtschaft betreibt und in den Kalibergwerken
gebraucht wird. Die Kaliwerke beschäftigen in den 30 Jahren des Aufbaus
und der vollen Produktion der Anlagen bis zu 1000
Arbeiter aus vielen Berufen inklusiv Weiterverarbeitung und
Transportwesen. Der Bergmannsverein von Wustrow pflegt enge
Beziehungen zu den Kumpeln im Raum Salzgitter. |
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Ernst Wolter (etwa 1915) |
In diesem Zusammenhang oder bei einer Ausbildung in Salzgitter lernt
Ernst Wolter Louise Remmert (geb. 1892) aus Gut
Flachstöckheim kennen. Sie heiraten und haben drei Kinder. Auf den
Fotos sind beide im Sonntagsstaat beim Fotografen. Aber um die Familie
zu ernähren, arbeitet Ernst Wolter im Schacht Teutonia, eine der
beiden großen Schachtanlagen. Daneben ist er passionierter
Landwirt. Er betreibt eine Nebenerwerbslandwirtschaft, einen kleinen
Hof in der engen städtischen Bauweise der Langen Straße. Dort werden
wir seine Familie im nächsten Jahrzehnt beobachten.
Noch etwas zur Größenordnung der Kaliwerke: |
Lousie Wolter, geb. Remmert. |
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Täglich
werden 1000 bis 2000 t Tafelsalz und Kali in den Werksanlagen
aufbereitet und über eine Werksbahn zum Wustrower Bahnhof und von dort
nach Dömitz zum Umladen auf Elbkähne gebracht. Auf dem Wasserweg geht
es dann über Hamburg in alle Welt.
Kurze Zeit scheint es, als könne im Wendland eine Industrialisierung
stattfinden.
In Wustrow entstehen Arbeitersiedlungen, Arbeitervereine,
Gewerkschaftsgruppen und, im Wendland sonst wenig belegte, politisch
linksorientierte Organisationen. Es werden sogar Streiks organisiert. |
Schacht "Rudolph" der Gesellschaft Teutonia bei Schreyahn. |
Schacht "Wendland". |
Die Kalibahn, Lorenzug der Kaliwerke zum Bahnhof Wustrow. |
Der Abbau der verschiedenen Steinsalze wäre langfristig lohnenswert,
wenn es nicht zahlreiche Probleme mit Wassereinbrüchen im porösen
Salzstock tief unter Tage gäbe. Ein dritter Schacht wird deshalb
nicht Betrieb genommen. Im nächsten Jahrzehnt wird alles aufgegeben
und Wolter ist auf seine Landwirtschaft angewiesen. |
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(Seite erstellt im Januar 2007)
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