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Geschichte einer Ziegelei
1907 bis 1964
Mützingen - Wibbese
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Seiten, die mit dieser zusammen- hängen:
Wibbese um 1900
Wibbese 1910
Wibbese 2005
Mützing. 1910-63
Mützingen 1920
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1907 stellt Carl Ehrenfort aus Sarenseck einen Bauantrag für die
Errichtung einer Ziegelei in der Gemarkung Wibbese am Ortsrand von Mützingen.
Zum Bau der Ziegelei gibt es einige Unterlagen im Hauptstaatsarchiv in Hannover.
Aber viel mehr Informationen und vor allem Fotos schickte Peter Hoffmann
(www.ph-immobilien.de), der
Enkelsohn des letzten Besitzers der Ziegelei.
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Carl Ehrenfort ist erst Anfang Zwanzig und hat gerade
seine Ausbildung als Ziegeleimeister gemacht, als er 1907 mit großem
Elan und unternehmerischem Mut an die Errichtung einer neuen Ziegelei
geht. Er will das Tonvorkommen in der Gemarkung von Wibbese nutzen und
wird mit den Eigentümern, Familie Kofahl in Wibbese, einig. Auf dem Foto
von Kofahls (
Wibbese 1910 )
strahlt er
Selbstbewusstsein aus und in Kenntnis seiner späteren Geschichte kann
man sich ihn als agilen Draufgänger vorstellen.
Er beginnt umgehend mit dem Bau der Ziegelei, die
zunächst aus einem Ofenhaus und zwei Trockenschuppen besteht. Schon im
nächsten Jahr beantragt er als weitere Bauten einen 25 m hohen Kamin,
einen
Ringofen als zusätzlichen Brennofen und eine
Druckkesselanlage.
Ehrenfort stellt den Ziegeleimeister
Wilhelm Prange aus Charlottenburg ein, der Wohnung in Wibbese findet und von den
Arbeitern ist Wilhelm Schulz aus Mützingen namentlich genannt. |
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Luftaufnahme der
Ziegelei Wibbese (Mützingen) von 1955. Etwa ab 1915 besteht die Anlage
aus diesem Gebäudekomplex. Dieses und alle folgenden Fotos kommen von Peter
Hoffmann, dem Enkel des letzten Ziegeleibesitzers Alfred Hoffmann.
Zur Orientierung ein Hinweis für heutige Ortskundige und Mützingenta-Besucher:
Die Straße, die links an der Ziegelei vorbeiführt, wird erst später zur
"Rennstrecke" Sallahn-Pudripp ausgebaut. |
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Peter Hoffmann schreibt:
"Die Lehmgruben lagen ca. 400 m entfernt oben im Wald.
Wenn man auf der Straße vor der Ziegelei steht ganz links und dann auf den
leichten Hügel hoch (da wo man wirklich nie hinkommt). Die Lorenschienen gingen
bis dahin. Das war eine enorme Entfernung und technische Bravourleistung. Als ich
dort aufwuchs, waren sie leer und die neue Lehmgrube in Zernien. Diese alten
Wibbeser Lehmgruben waren Teiche (herrlich) als ich Kind war und sind heute
wohl zugewachsen und versumpft." |
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"Anbei eine Zeichnung mit Lage der Lehmkuhlen. Das schwarze Gebäude:
Maschinenhaus mit der eigentlichen Steinproduktion. Das gestrichelte
Gebäude : Wohnhaus des Fabrikbesitzers. Gebäude mit dem Schornstein:
Brennofen." |
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Einige Arbeiter vor dem großen Brennofen etwa 1920
Die Nachfrage nach gebrannten Mauersteinen und
Dachziegeln ist groß, denn die Hoffnung des Wibbeser Lehrers von 1907
"Hoffentlich verschwinden nun so nach und nach die
elenden Lehmkaten." geht allmählich auf. Altes Fachwerk
baufälliger Gebäude wird durch massive Wände und die Strohdächer durch
Dachziegel ersetzt. Auf den Höfen werden neue Schweineställe gebaut.
Somit ist die Ziegelei, vielleicht unterbrochen durch den 1. Weltkrieg, in der Regel ausgelastet.
Carl Ehrenfort heiratet 1919 die deutlich jüngere Hulda Dierssen und
1920 wird der Sohn Karl jun. geboren. Die Eltern/Schwiegereltern
Dierssen haben einen großen Hof in Mehlfien und wie Peter Hoffmann
schreibt, sind sie "Gründer eines umfangreichen Familienclans im
Kreis Lüchow-Dannenberg".
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Im Hauptstaatsarchiv in Hannover belegen einige
Schriftstücke, dass die Betriebsaufsichtsbehörde mehrmals Beanstandungen bezüglich Sicherheit und Einrichtungen für die
Beschäftigten in der Ziegelei vorträgt. Es wird allerdings auch
bestätigt, dass alle geforderten Sicherheitsmaßnahmen
durchgeführt wurden. Aber Ehrenfort scheint die Sicherheitsbestimmungen für sich
selbst nicht ernst zu nehmen.
Ein Polizeibericht von 1922 sei hier
wiedergegeben:Tödlicher Unfall in der Ziegelei am 16.11.1922
Landjägeramt Jameln
Anzeige eines Unfalls des Ziegeleibesitzers Carl Ehrenfort in Wibbese Kreis
Dannenberg
Jameln 25.11.1922
An den Herrn Landrat
Am 16. des Monats um 9 Uhr vormittags ist der Ziegeleibesitzer Carl Ehrenfort in
Wibbese Kreis Dannenberg in seinem Betrieb verunglückt, wobei er seinen
sofortigen Tod gefunden hat.
Bei dem Unfall war kein Augenzeuge zugegen. Die Leiche des Verunglückten wurde
von den Ziegeleiarbeitern in der Nähe der großen Transmissionsscheibe gefunden.
Der Ziegeleiarbeiter Jansen aus Mützingen sowie alle anderen Arbeiter der
Ziegelei geben an, dass Ehrenfort die Angewohnheit hatte, immer durch den großen
Antriebsriemen zu klettern. Auf die große Gefahr ist der Verunglückte oft
aufmerksam gemacht worden. Er hat dieselbe jedoch nie beachtet.
Den fraglichen Morgen hat Ehrenfort mit der Dampfmaschine, welche sonst die
Ziegeleipresse treibt, Schrotmühlen angetrieben. Diese Arbeit besorgte er
selbst.
Um zu den Schrotgängen zu gelangen, ist er sehr wahrscheinlich wie schon öfter
statt um das Kesselhaus herum, durch den großen Antriebsriemen geklettert.
Hierbei kann der Riemen seine Kleidung erfasst haben, ihn auf die
Transmissionsscheibe geworfen und an Pfeiler- und Mauerecken zerschlagen haben.
Ein Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften liegt nicht vor.
Die Transmissionswelle und Scheiben sowie Antriebsriemen liegen in einem
abgeschlossenen Raum.
Der Unfall hätte nicht passieren können, wenn Ehrenfort nicht selbst
leichtfertig durch Riemen und Wellenlagen geklettert wäre.
Gez. Schote
Jameln
Peter Hoffmann schreibt dazu:
"Der Bericht des Herrn Schote über den Unfall von
Carl Ehrenfort deckt sich genau mit dem, was mir meine Großmutter und
alte Arbeiter der Ziegelei als Kind erzählt haben. - Ehrenfort war
ein echter Draufgänger und es passte zu ihm, auf diesen Riemen
herumzuklettern. Riemen kreuz und quer über dem Koller! Auf die Idee
wären wir nicht mal als verrückte Kinder gekommen.
Aber er war auch enorm jung und wohl ein bisschen genial. Mit Anfang 20
einen solch großen Betrieb zu gründen.... Das haut einen schon um...
Meine Großmutter, Hulda Dierssen war seine Ehefrau. Sie war gerade 22, als
der Unfall
passierte. Nun saß sie mit dem Betrieb und etwa 40 Mitarbeitern da.
Sie
gab Heiratsanzeigen in mehreren überregionalen Zeitungen auf und lernte
so meinen Großvater, Alfred Hoffmann, kennen. Sie suchte ausdrücklich
nicht nur einen Mann sondern vor allem auch einen Experten für das
Ziegeleiwesen. Und genau das war er. Er war der zweitälteste (so ein
Pech) Sohn des Ziegeleibesitzers Otto Hoffmann aus Glogau. Dies war nun
die Gelegenheit für beide; und genauso dachte man damals....
Und ob man´s glaubt oder nicht: Es wurde Liebe draus...."
Alfred Hoffmann und Hulda Ehrenfort-Hoffmann werden die Ziegelei mehr
als 40 Jahre leiten.
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Blick auf die Rückseite des Brennofens mit der Kohlerampe 1928(?) |
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Karl Ehrenfort junior, der Sohn von Hulda und Carl Ehrenfort, an
der Schneidemaschine beim Herausnehmen der fertig geformten Lehmsteine.
Im Maschinenhaus = Hauptproduktionsgebäude.
Ich habe meinen Onkel Karl nicht mehr kennenlernen können. Er fiel 1942
in Russland (Murmansk), wie so viele....
Foto von etwa 1932
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Zwei Arbeiter oben im Brennofen beim Befeuern des "brennenden"
Teilbereichs.
Damals schon halbautomatische Befüllung der
Brennschächte.
Es durften aus Sicherheitsgründen immer nur etwa 20% des gesamten Brennrings
befeuert werden.
Foto von ca. 1935. |
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Rückansicht vom alten Weg nach Wibbese (übrigens der eigentliche
Hauptweg nach Wibbese) auf das Wohnhaus und den Garten des
Ziegeleibesitzers.
Foto von etwa 1937. |
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Treffen der Familien Dierssen und Hoffmann etwa 1930 in Mehlfien
vor dem Haus Dierssen.
Noch mit den ganz alten Patriarchen: ganz rechts Otto Hoffmann
(Ziegeleien in Schlesien) und hinter ihm Gottfried Dierssen senior.
Albert Dierssen, der Hoferbe und Hof-Eigentümer steht in der Mitte
der Tür. |
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Baden in der Lehmkuhle 1
Sehr gewagt: Schon damals Nacktbaden.
Hulda
und Alfred Hoffmann in der hinteren Reihe.
Foto von etwa 1937. |
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Kindertanzschule vor dem Gasthaus "Hamburg" in
Pudripp etwa 1938. Das Datum ist für mich gut einschätzbar, weil
Irene Hoffmann (Tochter von Hulda und Alfred = meine Mutter) in der 2.
Reihe als 4. von rechts sitzt.
Sie ist etwa 13 auf dem Bild, also 1938.
In der Mitte Tanzlehrer Janiesch, der über einige Jahrzehnte so
ziemlich jedem Kind in der gesamten Region Lüchow-Dannenberg das Tanzen
beigebracht hat.
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Die 50er Jahre
Nach dem 2. Weltkrieg boomt die Ziegelei zunächst wieder.
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Alfred Hoffmann auf einem
Foto von 1950. |
Hulda Hoffmann-Ehrenfort (Mitte) und Alfred Hoffmann (rechts) mit
typischen Statussymbolen der 50er Jahre : Mercedes und
Wohlstandsbauch .... Foto von 1957 |
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Messestand
der Ziegelei Hoffmann auf der Hannover-Messe 1956. |
1957 berichtet der Lehrer in der Schulchronik:
"In der Gastwirtschaft Tiede und beim
Ziegeleibesitzer Hoffmann wurden die ersten Fernsehgeräte aufgestellt.
Die Kinder berichten häufig davon, da sie stundenlang vor dem Schirm
sitzen. Es gelingt ihnen aber selten, ihren Eindruck auch nur annähernd
allgemeinverständlich wiederzugeben." |
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Einer der typischen "Höker", der fahrende
Lebensmittelhändler Eckloff.
Foto von 1959.
Auf dem Foto Hulda Hoffmann mit meiner Schwester Barbara, meinem Bruder
Karl-Hubertus und Günter Tiede (in der Mitte). |
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Peter Hoffmann (ich) noch als vorgesehener Erbe der Ziegelei vor einem
Stapel von Innen-Backsteinen. Bekanntermaßen war nachher nichts zum
Vererben da ....
Foto 1960
Schon 1957 heißt es in der Schulchronik:
"Ziegeleibesitzer Hoffmann ließ ein Waldstück
einebnen, wo er vergebens nach Ton gegraben hatte. Die Ziegelei wurde
wegen Materialmangel vorübergehend stillgelegt. " |
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Weiter in der Schulchronik:
1958
Das einschneidenste Ereignis dieses Jahres war
wohl die abermalige Stilllegung der Ziegelei, nachdem der Besitzer
einige Wochen mit Ton aus Zernien gearbeitet hatte. Dort ist schräg
gegenüber der Gastwirtschaft eine Tongrube entstanden. Er konnte die
Steine nicht absetzen. Die Bautätigkeit hat allgemein schon erheblich
nachgelassen.
1964
Die Ziegelei in Wibbese ist nun endgültig
stillgelegt, nachdem der Besitzer mit italienischen Gastarbeitern
versucht hatte, den Betrieb wieder aufzunehmen. Auf die Dauer konnte der
Materialtransport von Zernien sich nicht rentieren. ... Auch der
Versuch, den Maschinenpark zu modernisieren, reichte nicht aus. |
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Peter Hoffmann berichtet:
Italiener haben bei uns seit 1960 gearbeitet. Die
hatten ein neues Extra-Wohnhaus bekommen und wir Kinder liebten es, bei
den Italienern zu sein (sollten wir natürlich nicht). Aber sie waren
unglaublich kinderlieb und viel lustiger und freundlicher als die etwas
steifen Deutschen aus der Nachbarschaft. Außerdem lieben alle Kinder der
Welt italienisches Essen, insbesondere Spaghetti ... gab es damals
wirklich nicht bei Deutschen. Kann man sich heute gar nicht mehr
vorstellen.Mit der starken Verbreitung
des Kalksandsteins und preiswerter Baustoffe
Ende der 50er Jahre setzt das große Sterben der Backstein-Ziegeleien
ein. Alle 19 Ziegeleien des Landkreises Lüchow-Dannenberg hatten bis
Ende 1964 geschlossen. Die Ziegelei Hoffmann-Ehrenfort schloss als letzte, ausgelöst durch den Unfalltod des Inhabers, Alfred
Hoffmann, im Jahr 1963.
Es war ein Jagdunfall mit einer im Fahrzeug ungesichert liegenden
Schrotflinte. Der Schuss löste sich beim Herausnehmen des Gewehrs.
Offensichtlich führte auch dieser zweite Tod auf dem Ziegeleigelände
wieder zu Gerüchten und merkwürdigen (Selbst-) Mordtheorien. Die
Kriminalpolizei hatte den Fall sehr gründlich untersucht und kam zum
klaren Ergebnis : Unfall.
Hulda Hoffmann gelang es, den gesamten
Warenbestand, den Fahrzeugpark und den erheblichen Maschinenpark so gut
zu verkaufen, dass die Ziegelei nach ihrem Tod 1970 schuldenfrei an ihre
Tochter Irene Hoffmann übergehen konnte. 1971 wurde das Gelände in zwei
Teile aufgeteilt und endgültig an zwei Berliner Käufer verkauft. |
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Diese Seite umfasst einen sehr langen Zeitabschnitt, der um
1910 beginnt. In der Tour geht es jetzt in jene Zeit wieder zurück und
wir betrachten in den anderen Spuren, wie im zweiten Jahrzehnt der 1.
Weltkrieg die Zukunftspläne der Familien durcheinander wirbelt.
Wir bleiben zunächst ganz in der Nähe
bei Kofahls in Wibbese.
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(Seite erstellt im September 2010, korrigiert im November
2013) |