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Tagebuch 1944-1945

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1944 ist Lydia 17 Jahre alt und bis über beide Ohren in einen Soldaten verliebt.

 
"Auch im Krieg kann es schöne Tage geben, die man wirklich nur dem Krieg zu verdanken hat. Von solchen Stunden und Tagen möchte ich jetzt schreiben. Deshalb habe ich das Buch eingerichtet. Ein Buch für Dich und für mich, gemeinsame Erlebnisse sollen hier drin unvergeßlich wach bleiben. Und so will ich mit dem Tag beginnen, an dem Du mir zum ersten Mal begegnet bist.

20. August 1944 Wie ein Blitz verbreitete sich die freudige Nachricht in unserem Dorf: "Die Soldaten kommen! Denkt Euch, wir bekommen Einquartierung zum ersten Mal im Krieg!" Saal und Scheunen wurden zur Einquartierung aufgeräumt. Doch dabei sollte der Stamm, der acht Tage vor den Schülern eintreffen sollte, richtig mit anpacken. Der Stamm sollte in Privatquartieren untergebracht werden. "Der Spieß und ein Feldwebel waren soeben hier, um alles einzurichten. Der Spieß hat sich gleich nach einem Quartier, wo man ein Bratkartoffelverhältnis haben kann, erkundigt", so berichtete Elfriede. Dadurch war er Elfriede gleich unsympathisch.

28.August 1944 So kam der Tag, an dem der erste Trupp, der Stamm, in unserm Dorf eintrudelte. Der erste Anblick wurde mir auf dem Wege zur Post zuteil, wo die kleine Garde an mir vorbei marschierte. Zu Hause wurde gleich ein Teil zum Saalaufräumen eingespannt. Unser Saal war nämlich schon zur Niederlage Leipziger Allerleis in Folge des Krieges verwandt worden. Dort standen landwirtschaftliche Maschinen, Bienenkisten, ein Gläserschrank, eine Eiskiste, eine Wäscherolle, Bretter, Fischnetze und sonstiges Zeug herum. Jetzt sollte der Saal zu einer Unterkunft für 80 Soldaten verzaubert werden. Also musste alles fort geschaffen werden.

Elfriede spielte bei dieser Aufräumungsarbeit den Feldwebel. Ich musste indessen unser Fremdenzimmer einzugsbereit für einen Feldwebel halten. Zwischendurch kam Elfriede einmal nach oben gestürzt: "Mensch Lydi, dor is een niedlich brun Jüngling, de hat so schön brun Augen. De müßt du di unbedingt ankieken und dat is de einzig Soldat, der so richtig mit anpacken dat." "Na ja, de müßt du mi mal unbedingt zeigen. Ich bin ja gespannt." Im nächsten Augenblick kamen zwei der schuftenden mit der Wäscherolle die Treppe hoch gestöhnt. Ich hörte die Klagerufe und lief ihnen zur Hilfe. Wollte vielmehr den Schlappschwänzen zur Hilfe kommen, wurde jedoch mächtig ausgelacht. Na sie brachten es auch alleine fertig. Dann kam Elfriede mit ihnen zu mir ins Fremdenzimmer. Sie sollten einen Schrank aus dem Zimmer schaffen, damit der Feldwebel mehr Platz habe. Da protestierte der eine mächtig, stellte sich ans Fenster und hielt eine ellenlange Rede: "Nein, nein, der Feldwebel braucht es auch nicht gemütlicher zu haben, als wir einfachen Gefreiter und Obergefreiter. Nein, nein, solche Umstände machen wir nicht extra". Und so weiter und so fort. Der andere hatte sich indessen an den Schrank gestellt, wortlos lauschte er zu. "Man kann der eine rappeln und ist der andere still", dachte ich nur als sie mich wieder verlassen hatten. Dann kam Elfriede wieder "Du der am Schrank stand, den meine ich, den brun Jüngling!" "Ne, den, der war mir viel zu still. Dann mochte ich den anderen noch lieber". So verging der erste Tag voll Frohsinn und Schwärmerei inmitten der Arbeit. Ich begeisterte mich indessen für jemand anders, dessen Name mir entfallen ist. Er saß bei uns in der Gastube am Tisch und sagte keinen Ton. Erst später war er vollkommen verwandelt. Nämlich nachdem er einige verstaubte Flaschen mit den Kameraden geleert hatte. Dann konnte er plötzlich die ganze Garde unterhalten. Die Einquartierung Feldwebel Lieb war uns recht, der Mann gefiel uns. Das gab ein Rennen und Schuften bei den Vorbereitungen der bald eintreffenden Einquartierung. Doch innerhalb von acht Tagen war unser einsames Dörfchen zur Garnisonsstadt verwandelt: Aus zwei überflüssigen Räumen des Papschen Hauses war plötzlich eine Schreibstube hergerichtet. Franks Haus wurde ganz und gar beansprucht. Die Scheune als Massenquartier, die Stube des Hauses als Schusterei, ein anderes Zimmer Krankenrevier, eine Scheune vom Untergut, eine vom Obergut und unser Saal als Massenquartier. Ein kleines Zimmer vom Saal Waffengeräteraum. Rathjes altes Haus, das leer stand, wurde Feldküche, Verpflegungskammer. Der Warteraum auf dem Bahnhof wurde Bekleidungskammer. Kurzum alles wurde umgekrempelt und so war das Dorf bald bereit, 300 Soldaten, die in Grabow eine dreiwöchige, infanteristische Ausbildung erleben sollten, unterzubringen. Freilich gab es auch mal freie Stunden inmitten der Arbeit, in denen sich die Ausbilder bei uns in der Gaststube rumdrückten. Verstaubte Flaschen leerten und fröhlich beisammen saßen. Da fand man zum Beispiel den brun Jüngling wieder, der mit einer ganzen Clique zusammen feierte, sich jedoch äußerst still verhielt und zu mir sagte: "Na der Krach gefällt Ihnen wohl!" "Klar gefällt der mir". Mir gefiel überhaupt alles, was die Soldaten mit sich brachten. Es war ja alles so neu und voll froher Begeisterung nahm ich alles auf. Bald fand ich auch Gesellschaft beim Melken. Jeden Abend musste ich nämlich auf die Weide zum Melken. Wir hatten zwölf Milchkühe. Da wollte doch einer unbedingt das Melken lernen. Ich war sehr erfreut über meinen Lehrling Helmut. Bald melkte er schon eine Kuh alleine aus. Später löste er mich oft ganz ab und fuhr mit unseren Gefangenen alleine hin. Zwischendurch musste er mal auf Dienstreise nach Dresden. Ganz erstaunt hielt ich dann eines morgens einen Brief von meinem Melkerlehrling in den Händen. Komisch, dass der mir schrieb, wollte er doch verlobt sein. Später nach seiner Rückkehr wollte er mal mit mir ausgehen. Da bin ich fort gelaufen. Das machte wohl der Ring an seinem Finger.

3. September 1944 Inzwischen waren auch die Schüler eingetroffen. Sie wurden von uns Mädchen abgeholt vom Bahnhof. Es war an einem Sonntag. Und dann begann ein unaufhörlicher Betrieb in der Gaststube und im Laden. Abends war es am Schönsten. Die Gaststube voller durstiger Lanzer und der Saal voller nach Fliegerbier lechzender Soldaten. Elfriede und ich hatten die Aufgabe all diese schmachtenden Kehlen zu befriedigen. Es machte unendlich viel Spaß. Auch für Musik war gesorgt. Entweder spielten zwei Soldaten Mandoline oder uns klangen frohe Lieder ins Ohr, die von den Kölner Jungs gesungen wurden. Sie taten sich abends immer zusammen und stellten sich vor die Saaltür. Draußen lauschten dann die jungen Mädchen aus Grabow ihnen zu. Elfriede und ich hatten natürlich keine Zeit uns dazu zu stellen. Aber wir vernahmen ihre Lieder mit ebensoviel Wonne in der Gaststube durch die Klappe. Plötzlich an einem Nachmittag tauchte auch wieder die wohlbekannte Clique auf, darunter brun Jüngling. Sie waren auf Dienstreise gewesen. Elfriede noch immer begeistert von ihm, setzte sich zu ihnen und erzählte ihnen folgende, ausgedachte Geschichte: "Denkt euch, hier haben sich inzwischen zwei Mädel nach einem brun Jüngling erkundigt. Ach, sie waren ganz begeistert von ihm und wollten ihn unbedingt sehen!" Ungläubig schüttelten die Burschen ihren Kopf, frugen mich um die Wahrheit. "Ja, ja, das stimmt!", log ich dazu. Sie wollten und wollten es nicht glauben. Sie hatten doch noch gar keine Mädel außer Elfriede und mir gesehen. Leise wurde mir der Verdacht in die Schuhe geschoben.

4. September 1944 Dieselbe Clique konnte sich eines abends nicht trennen, nachdem schon Zapfenstreich war. Elfriede und ich setzten uns zu ihnen. Eine lustige Unterhaltung begann. Mir gegenüber saß brun Jüngling. Zum ersten Mal schaute ich diesen Menschen genauer an. Unwillkürlich hafteten unsere Blicke ineinander. Erschrocken sah ich in zwei aufrichtige, innige - ja so etwas wie Treue und unbedingte Ehrlichkeit lag darin - Augen. Wenn man ihn anschaute, wurde man für einen Augenblick ergriffen, musste wohl den Atem für eine Sekunde anhalten, um begreifen zu wollen, was da stand in diesen Blicken! Nichts wusste ich von ihm, nicht den Namen, nicht den Beruf, nicht die familiären Verhältnisse. Er sprach nicht davon, während die anderen von alldem erzählten. Und dennoch glaubte man, von dem brun Jüngling mehr zu wissen. Bei diesem Menschen sprach nicht der Mund, sondern nur die Augen, diese braunen Augen, die einen ergriffen, wenn man ganz, ganz tief hineinschaute. Bald mussten sie sich verabschieden diese drei jungen Kerle, wobei sie uns baten, einmal zu solcher Unterhaltungsstunde wieder kommen zu dürfen. Noch lange sprachen Elfriede und ich über diese drei beim Schlafengehen, über den redegewandten Egon, über den blonden Paul, doch am meisten von dem brun Jüngling, von dem wir nichts wussten und doch vieles aus seinen Augen, seinen Blicken glaubten gelesen zu haben. Ja, der kann bestimmt treu sein! Und dessen Freundin ist mal beneidenswert. Der kann nur an eine mit ganzer Seele, mit ganzer Hingabe denken! Und dann konnte ein "kleines Mädchen" keinen Schlaf finden, war sie am Ende verliebt? Hatte sie zu tief in des brun Jünglings Augen geblickt?

5. September 1944 Am nächsten Morgen ging es zur Berufsschule. Auf dem Bahnhof traf ich wieder die drei prächtigen Kerle. Unüberlegt stellte ich meine Büchermappe irgendwo auf den Bahnsteig hin - der Zug kam - die Tasche war fort. "Oh, ihr seid gemein! Ihr habt meine Büchermappe!" All das Schelten war zwecklos. Es hieß einsteigen und der betrübten Bestohlenen blieb nichts anderes übrig, als bei den dreien in einem Abteil Platz zu nehmen. Während der Fahrt schwebte ich in Ängsten um meine Büchertasche. Die drei schworen mir, sie nicht zu haben. Am Ende der Fahrt kam sie dann doch ans Tageslicht. Ich war froh und eilte aus dem Zug, während die anderen nach Salzwedel fuhren. In der Schule musste ich immer wieder an diesen stillen brun Jüngling denken. Ich hatte ihn noch kein Wort sprechen hören und doch verband mich irgendetwas mit ihm. In seinem Blick - alleine darin - lag das Anziehende. In der Pause erzählte ich meiner Freundin: "Du Gusti, nach Grabow sind dreihundert Fallschirmjäger gekommen. Weißt du, ich bin so verknallt in einen! Ich kann mir nicht helfen!" Dann war endlich die quälende Schule aus und bald danach traf der Zug ein. Erstaunt erblickte ich, wie der Zug hielt, brun Jüngling auf der Plattform. Bittend sagte er: "Kommen Sie doch hier rein!" Ich wollte vorbei eilen, indem ich sagte: "Ich bin ihnen allen noch von heute morgen böse!" Doch diesen bittenden Augen, die ja mehr baten als der Mund war es unmöglich zu entlaufen und so stieg ich doch ein. Gegenüber von dem blonden Paul und brun Jüngling nahm ich Platz. Mit dem Bösesein wurde es nichts, bald erzählte mir Paul: "Sie müssen heute abend unbedingt zum Baden zur Jeetzel mitkommen!" "Ach, nein, das geht nicht, ich muß ja in der Gaststube bleiben. Sie wissen doch, wie viel Betrieb immer ist und außerdem kann ich auch gar nicht schwimmen, da blamiere ich mich ja tot bei ihnen!" "Ach, das werden wir ihnen schon beibringen. Er (dabei nickte er brun Jüngling zu) ist unser Schwimm-Meister. Sie müssen unbedingt mitkommen und dann können sie bestimmt bald schwimmen." Immer mehr schwärmte mir Paul vom Schwimmen vor, bis er mich überredete und ich ihm versprach, zu Hause um Erlaubnis zu fragen. Dort angekommen, bestürmte ich sofort meine Mutter mit der Bitte. Zuerst zögerte sie, sagte doch endlich ja. Dann wurde das Schwesterchen glücklich bestürmt und neidisch gemacht: "Ätsch, ich bin von den drei Soldaten zum Baden eingeladen! Sie wollen mir das Schwimmen lehren! Ich werde sogar abgeholt". Dann wartete ich voller Ungeduld auf diese drei. Doch leider - sie kamen nicht. Erst, als es schon dunkelte, trudelten sie ein, setzten sich an ihren Stammtisch. Ich brachte ihnen Fliegerbier und klagte beleidigt: "Na, Sie sind vielleicht gemein. Ich denke Sie wollten mit mir zum Baden gehen. Schuftig finde ich das". "Hören Sie mal", begann Paul "es ging nicht. Wir hatten bis eben Dienst. Wir ärgern uns auch blau über diesen späten Dienstschluss." Also der Traum war vorläufig aus.

6. September 1944 Am nächsten Tag wurde ich von meiner Mutter zum Hof gerufen. Ein Soldat wollte für die Kompanie Blumenkohl holen. Ich sollte mit ihm aufs Feld. Zu meiner Freude war dieser Soldat Paul! Schnell holte ich ein Messer, schnappte mein Fahrrad. Paul zog währenddessen mit seinem Handwagen vor die Tür zur Straße hin. Dann marschierten wir, ich neben dem Rad herlaufend, los. Nachdem wir das Dorf verlassen hatten und Belangloses gesprochen hatten, sagte ich ihm: "Oh, ich habe eine Idee! Ich sag es aber nicht! Raten Sie doch mal! Ich fahre jetzt voraus, schneide schon den Kohl ab und währenddessen können Sie ja überlegen." "Ich glaub ich weiß es." "Das kann doch wohl nicht wahr sein?!" Dann fuhr ich davon. Bald - noch vor Beendigung meiner Arbeit - war er auch schon da. Während wir den Kohl zum Wagen schleppten, fragte ich: "Na, was dachten Sie?" Ganz sicher meinte Paul: "Sie wollen doch bestimmt das "Sie" unter uns abschaffen". Etwas böse darüber, daß er es sofort erraten hatte, antwortete ich: "Ja, ich finde wir, Sie und ihre beiden Freunde kennen uns jetzt schon so gut, da können wir ruhig "Du" sagen." Paul war nicht ganz damit einverstanden. "Dafür wollen wir uns aber doch einen besseren Augenblick aussuchen." Dann begeisterte er mich wieder fürs baden. "Wissen Sie, am Sonntag müssen Sie mit uns nach Salzwedel zum schwimmen kommen. Haben Sie dort schon mal gebadet? Nicht wahr, Sie kommen doch bestimmt mit. Ach das wäre herrlich!" Am Abend sah ich brun Jüngling ohne Pauls und Egons Begleitung in der Gaststube sitzen. Sie ist außergewöhnlich leer heute. Es ist kein Fliegerbier mehr da. Morgen kann erst wieder etwas geholt werden. So wird dies der erste ruhige Abend seit die Soldaten da sind. Ich gehe an den Tresen und schalte den Rundfunk ein. Wie ich mich umwende, steht neben mir brun Jüngling und fragt, können wir spazieren gehen? Ich kann es noch gar nicht fassen, daß brun Jüngling, dieser stille, in sich gekehrte Mensch danach fragen kann. Viel zu ängstlich - zu rein und angerührt wirkt er, um annehmen zu können, daß er mit einem Mädchen ausgehen möchte. Ich bin wirklich erstaunt über den Mut! Bis ich endlich antworte: "Da muß ich mal fragen". Meine Mutter erlaubte es mir unter der Bedingung, daß ich zur bestimmten Zeit wieder da bin. Dann springe ich jauchzenden Herzens die Treppe hinauf, hin zur "Jungmädchenstube", die Elfriede und mir gehört. Elfriede hatte sich heute zeitig ins Bett gelegt, denn heute abend war Gelegenheit zum Ausruhen. Kaum habe ich die Tür hinter mir zugemacht, erzähle ich Elfriede von meinem Vorhaben, indem ich sie aus dem Schlaf reiße. "Elfriede, Elfriede denk dir, brun Jüngling hat gefragt, ob ich mit ihm ausgehe. Kannst Du dir vorstellen, daß er so etwas sagen kann? Ich bin ganz fassungslos. Du sag mal, erlaubst Du das?" Elfriede hat sich indessen in ihrem Bett hochgerichtet: "Ist das wahr? Ja, mit dem erlaube ich Dir auszugehen. Mit keinem anderen hätte ichs gestattet. Du das finde ich ja zu schick! Freust Du dich denn auch?" Und ob ich mich freue. "Ich bin ja so so glücklich!" Die Jacke unterm Arm geklemmt, renne ich davon. Zum Anziehen war unten noch Gelegenheit. In der Gaststube nicke ich brun Jüngling heimlich ein Ja zu. Dann verlasse ich die Gaststube wieder und treffe draußen meine Freundin Ulla mit einem rothaarigen Jüngling an. "Ulla, wollt ihr auch ausgehen?" "Ja, Du auch?" Dann erzähle ich ihr in hastigen Worten "Du, denk Dir, brun Jüngling will mit mir ausgehen." Schon am gestrigen Abend, denn wir trafen uns allabendlich entweder bei uns oder bei Bohlmanns, hatte ich ihr schon erzählt, daß ich so unendlich verknallt sei in einen brun Jüngling. Die Ulla durfte es ja ruhig wissen, denn sie war meine beste Freundin. Und nun hat Ulla auch einen Begleiter für einen Spaziergang gefunden. Ulla, dieses unnahbare Mädchen! Das ist die zweite große Überraschung am heutigen Abend. Im Stillen muß ich lachen, hatten wir uns nicht, bevor die Soldaten da waren, geschworen, ganz, ganz solide zu sein und mit keinem Soldaten anzubändeln. Auch wenn es alle Mädchen aus Grabow machen würden, aber wir nicht, wir beide nicht. Und nun? Nun sind wir die ersten, die so mächtig verliebt sind. Wir entschließen uns, zum Rott entlang zu gehen. Ulla schreitet mit dem Rothaarigen voraus. Langsamer als die ersten, als wollten wir alleine sein, als hätten wir uns unendlich viel zu sagen, gehen wir denselben Weg. Gedankenvoll schaue ich den davon schreitenden nach und spüre, daß dieser Gang für mich eine andere, tiefere Bedeutung als für Ulla haben wird. Nur die Bewegungen des Rothaarigen konnte ich im Halbdunkel erkennen. "Nein, dieser Mensch paßt nicht zu Ulla!", äußerte ich zu meinem Begleiter. "Für den ist Ulla viel zu schade!" Der Gang des Rothaarigen erregte in mir eine seltsame Antisympathie. Schweigend gehen wir eine Weile weiter. Bald läßt brun Jüngling mich diese quälenden Gedanken, die Angst um Ulla, vergessen. Er erzählt von seinem Daheim: Von seinen Eltern, von seiner Schwester, seinem Zwillingsbruder und dem eigenen Beruf. Ich horche auf seine Stimme. "Der Klang der Stimme gehört zum Charakter eines Menschen", denke ich. Scheu und befangen, als dünke es ihm sonderlich seltsam, mit einem Mädel allein zu gehen, hauchen seine Worte durch die Stille, feuchte Herbstluft. Es ist kein schönes Wetter. Mieserich ist es und es wird gleich regnen. Doch wir merken es kaum. Für uns ist Frühling! - Dann frage ich: "Wissen Sie jetzt eigentlich schon, welches Mädel nach Ihnen gefragt hat in den ersten Tagen Ihres Hierseins?" "Ich kann mir´s jetzt denken!" "Ich glaube nicht! Welches denn?" "Doch bestimmt Sie", dabei wendet er seinen Kopf zu mir und schaut mich ganz sicher an. "Nein! Vorbeigeraten", sage ich "Ich war´s nicht, aber ich verrat´s auch nicht." Dann werde ich solange gequält, bis ich doch eingestehe, daß das Schwesterchen es war. - "Warum ist denn Paul heute abend nicht zu uns gekommen?", frage ich. "Paul soll nach Weitsche verlegt werden. Ist das nicht gemein?" "Ach, dann muß er ja immer solchen weiten Weg machen". "Wir wären ja so gerne zusammen geblieben. Heute abend ist er noch in Grabow. Er packt seine Sachen." Indessen haben wir das Ende des Rotts erreicht. Nach langem Zögern frage ich ihn endlich: "Wie heißen Sie eigentlich?" "Was Sie wissen nicht, wie ich heiße?" "Nein, woher soll ich denn das wissen! Sie haben´s mir nie erzählt. Aber wie werden Sie eigentlich von den Kameraden genannt? Bubi oder wie?" Als ich ihn das erste Mal von seinen Kameraden so rufen hörte, fragte ich ihn schon neugierig und erstaunt zugleich über diesen Kosenamen: "Wie werden Sie genannt?" Doch ich erhielt darauf keine Antwort. Hatte er die Frage überhört oder schämte er sich so kindlich benannt zu werden? Daran muß ich jetzt denken und bin gespannt, ob jetzt meine Neugierde befriedigt wird. Und - wieder wird das mit dem Bubi überhört. Er hält inne mit dem Gehen, wendet sich zu mir um, seine Augen blicken mich in tiefstem Ernst an, während seine Hand die meine ergreift. Wir stehen wie zum Bunde verschworen. "Walter Heilmann heiße ich. Aber Du darfst mich nicht wie meine Kameraden nennen, sondern mußt immer meinen richtigen Namen gebrauchen." Feierlich klingt es in die Stille hinein dieses vertraute Du. Ohne davon gesprochen oder danach gefragt zu haben ist dieses Wort, das die Fremdheit zwischen uns ein wenig auslöscht, das was uns freier und zutraulicher zueinander werden läßt, über seine Lippen gekommen. Ganz plötzlich ist es da, ganz schlicht ist es zwischen uns zur Entfaltung gekommen; so schlicht und einfach wie das Wort selbst und ist doch so voll Bedeutung! Wir fragen nicht danach, wie kommt es, daß wir "Du" einander sagen können. Nein! Wir nehmen dieses Wort hin wie ein Geschenk, das wir uns gegenseitig geben. Wir glauben das Schönster der Erde erhalten zu haben! Der Dank steht in unseren Augen! Dann schlingen sich seine Arme um meinen Nacken, seine Lippen suchen die meinen. Ich spüre sie mit klopfendem Herzen berühren. Fest blicke ich ihm in die Augen und sage das erste Mal "Du" zu ihm. Etwas scheu und verlegen von dem neuen Erleben treten wir unseren Rückweg an. "Weiß Paul eigentlich, daß Du bei mir bist?" "Ja, er weiß es!" Dann erzählt Heilmann mir, daß Paul und er sich erst darüber einigen mußten, wer von den beiden mit mir ausgehen sollte. Schließlich hätte Paul für Heilmann verzichtet. Ich bin nicht böse drum, denn ich bin wirklich nur in ihn verliebt. So sehr wie noch nie nie in einen Menschen! Wir haben es nicht eilig mit dem nach Hause gehen, obwohl es zu regnen beginnt. Wir stellen uns unter einen Baum. Wie Geschwister sind wir zueinander, die sich unendliches Vertrauen schenken. Sie denken nicht so schnell wieder beisammen sein zu können, da sonst die "Schwester" beim Hochbetrieb in der Gaststube täglich helfen muß. "Du bist doch ein liebes Mädel, und so fröhlich bist Du", liebkost Heilmann mich. Und dann müssen wir uns "Gute Nacht" sagen - lange find´ ich keinen Schlaf. "Das war ein stummes Geben", denke ich im Bett aus tiefstem Herzen. Ist es nicht doch viel viel mehr wert, als großartige Versprechungen, die im nächsten Augenblick vergessen werden. Ich glaube nicht, das ein zweites Mädel aus Grabow diesen Heilmann, der keine vielen Worte macht, verstehen würde. Die meisten Mädel werden wohl einen Mann mit viel Prahlerei eher lieben und nicht merken, daß alles Schwindel ist. Nein! Heilmann ist aus anderem Holz! Ihn muß man schätzen, achten und lieben; denn alles was in ihm ist und was er spricht, ist aufrichtig und ehrlich. Das ist das Höchste und Schönste, was ich von ihm weiß. Unter den schönsten Träumen schlafe ich endlich ein.

7. September 1944 "Was war nur? Was ist nur geschehen?", erwache ich verwirrt am morgen und reibe mir die Augen wach, um zur Besinnung zu kommen. Da höre ich schon die Kompanie, das heißt den ersten Zug antreten. Im nächsten Augenblick geht die Tür vom Fremdenzimmer auf und zu und Herr Lieb - doch in dieser Beziehung besser gesagt Feldwebel Lieb - rast die Treppe runter. Dann höre ich, wie ihm Meldung gemacht wird. Es folgt eine Sekunde Totenstille! Und schon im nächsten Moment faucht, gröhlt Feldwebel Lieb seine Lanzer an. Heute morgen hatten sie ihre Waschbecken nicht ordnungsgemäß verlassen. Doch die Grölerei am frühen morgen und vor allem das Wort "Schweinerei!!", das nie dabei fehlt, ist schon bei ihm Tradition geworden. Jeden morgen gibt es etwas anderes zu meckern. Das muß wohl so sein beim Komiß, daß der Zugführer zeigt, daß er "Zugführer" ist und sich nichts bieten läßt. Bei Herrn Lieb ist es überhaupt eine besondere Angelegenheit. Wenn er auch schreit, faucht und poltert, so ist er doch ein Fundskerl, der außer Dienst kein Soldat mehr ist und im Dienst kein Privatmensch, der wirklich mit Leib und Seele tapfer und treu seine Pflicht erfüllt. Jetzt vor der Front seiner Soldaten, wo er ihnen links rum Gleichschritt marsch und ein Lied befiehlt, ist er kein "Herr" Lieb, sondern ist Feldwebel Lieb. Einen besseren gibt´s wohl kaum in der Kompagnie beim Ausbildungspersonal oder möchte jemand sagen, daß Heilmann ein guter besserer Soldat sei? Man müßte ihn näher kennen, um darüber gerecht zu urteilen. Das Antreten des 1. Zuges, das Grölen des Zugführers, dem an einen morgen die Lanzer nicht richtig ausgerichtet bzw. angetreten waren, zum anderen die Betten nicht ordentlich genug verlassen hatten und bei dem einen und anderen etwas auszusetzen hatte, kurzum, jeden morgen bei einer anderen Sache sein Wort "Schweinerei" anwenden kann, das Losmarschieren der verschiedenen Züge und das Anstimmen der Lieder, die man noch, wenn die Kompanie schon vor ihrem Übungsgelände sind, hört - das alles ist jeden morgen dasselbe. Doch heute morgen höre ich die Kompanie mit anderem Herzschlag ausmarschieren. Dort marschiert unten im 1. Zug vorne in der 2. Reihe ganz links als Hilfsausbilder der Mann, der wohl schuld daran war, daß mich verwirrende und schließlich beim richtigen Wachwerden glückliche Gedanken aus dem Schlaf trieben. Ob dieser Mann wohl jetzt an gestern abend denkt, oder ob er auch beim Dienst alles Private vergessen kann und dann nur noch Soldat ist wie Herr Lieb? Das glaube ich nicht! Doch nun raus aus den Federn! Schluß mit den Träumen! Dann erwarte ich voller Ungeduld, daß die Uhr die 12. Stunde - die Mittagszeit - ankündigt, in der die Kompanie zum Essen ins Dorf zurück kommt. Endlich! Endlich ist es soweit! In der Ferne hört man die Soldaten singen. Ich stürme nach oben in unser Zimmer. Ich habe oben etwas zu tun. Ausgerechnet um diese Zeit habe ich oben immer etwas zu tun. Ich werde wohl nicht das einzige Mädel sein, das jeden Mittag beim Einmarsch der Kompanie hinterm Fenster steht und heimlich durch die Gardinen schaut. Meine Augen haften auf die 2. Reihe links des 1. Zuges, wo ein Mann marschiert mit so sonderbar träumerischen Augen, die gar nicht in diese Welt hineinpassen, die in sich selbst hinein blicken, der Mann, der es ganz vergißt mitzusingen - laut und schallend wie die anderen. Wo er wohl nur immer mit seinen Gedanken ist? Dann heißt es: "Still gestanden - rechts um - weggetreten zum Essen!" Und schon kommt der 2. Zug an der Straßenecke zum Vorschein. Und dort marschiert Egon. Ein ganz, ganz anderer als der in der 2. Reihe links des 1. Zuges. Ein anderer - einer, der mit beiden Beinen im Leben steht, dem das Soldatenleben Spaß macht, dessen Stimme zu den übertönenden zählt, seine Augen blicken nicht träumerisch in die Ferne, sie funkeln übermütig, allem Ernst des Lebens überlegen, in die Welt hinein! - Dann wieder ein Zug, der vom Obergut. Und schließlich der 4. Zug. Dort können die beiden letzten nie Schritt halten. Entweder treiben sie Unsinn! Oder der blonde aufgeschossene schlanke Paul taumelt in Gedanken versunken neben seinem Kameraden her. Dem Paul ist die ganz Kompanie unten "Wurst", die kümmert ihn wenig, wenn er als letzter zur Feldküche marschiert. Marschieren kann man´s wohl nicht nennen, denn er kann nie Schritt halten und marschiert immer aus der Reihe. Aber er kann so jungensmäßig übermütig lachen. Und wenn er dabei ein Mädel zuwinkt, muß es sofort begeistert sein. - Dann stürme ich wieder nach unten und im selben Augenblick sammeln sich die Soldaten im Laden und in der Gaststube. Ich gehe zuerst in den Laden, um dort Brot und Butter auf Urlaubsmarken in kleinen Mengen zu verkaufen. Hin und wieder hat auch jemand mal 75 Gramm Zucker oder 30 Gramm Käse zu bekommen. Ich komme mir dann immer wie eine Verkäuferin im Puppenladen vor. Aber es macht immer viel Spaß, den Soldaten dies und jenes zu verkaufen. Es geht täglich lustig her dabei. Jemand kauft sich Feldpostbriefe und schreibt mir gleich einen, worin er mich zum Abend bestellt. Ich lehne es natürlich aus bestimmten Gründen ab! Nachdem alle Soldaten bedient sind, und der Laden wieder leer ist, kommt Paul. "Na, war´s schön gestern?", empfängt er mich. "Herrlich!! Nur ich bekam nachher furchtbare Schelte, weil ich zu spät nach Hause kam." "Und was haben sie dazu gesagt?" "Ich habe alles ruhig über mich ergehen lassen. Meine Eltern waren ja im Recht", lache ich. "Na, sie sind in Ordnung!" Und nach einer Pause: "Darf ich jetzt auch Du sagen, ja?" "Natürlich!" "Oh, prima!" Paul ist zum lachen. Jetzt verstehe ich erst, was er damit meinte, als er auf dem Blumenkohlfeld auf meine Bitte Du zu sagen äußerte: "Dafür wollen wir uns doch aber einen besseren Augenblick aussuchen!" Nur diesen besseren Augenblick hat er Heilmann überlassen. In der Gaststube, wo ich jetzt Bier ausschenke, sitzt Heilmann am Stammtisch. Wir begrüßen uns mit Blicken. Der ganze Ausdruck des Glücks liegt in seinen Augen. Sie haben einen ganz, ganz anderen Glanz als sonst. Wie eigenartig, daß sein ganzes Inneres bei ihm in den Augen steht. Während sein Mund sich gar nicht zum Lachen verzieht, weiß man doch, daß er ganz ganz glücklich ist. Mitten in der Arbeit kommt Elfriede zu mir und flüstert mir ins Ohr: "Du, seine Augen strahlen viel viel glücklicher als sonst." "Das habe ich auch schon grad gedacht. Nur mochte ich es dir nicht sagen. Ich dachte, ich könnte mich getäuscht haben." "Nein, nein! Das ist wirklich so!" Am Abend sind Elfriede und ich wieder beim Bier ausschenken. Die Gaststube ist gerammelt voll. Auch Heilmann befindet sich in der Masse. Er liest die Zeitung oder - ob er nur so tut? Dann bitten sich meine Augen zu ihm. Anstandshalber nehme ich ein Bier mit! "Kannst du nicht mal deine Schwester fragen, ob du mal rauskommen kannst?", fragt er mich mit leiser, gespannter Stimme. "Ich werd´ mal fragen", antworte ich erstaunt über sein Vorhaben. Elfriede sagt: "Ja!" Und draußen treffe ich Heilmann. Wir gehen auf den Hof. "Hoffentlich hat niemand von den Soldaten etwas gemerkt! Es ist so scheußlich, daß immer so viele dabei sind!", äußere ich. "Ach, das glaube ich kaum. Da wird wohl niemand drauf geachtet haben. Du, ich bat dich raus. Ich wollte dir nämlich sagen, daß ich morgen auf Dienstreise muß. Ausgerechnet ich! Montag komme ich erst zurück." In dem Moment kommt uns jemand auf die Spuren. "Mein Vater", vermute ich. Und schon stürme ich davon. Heilmann mir hinter her durch die Pfützen über den Hof. Am Hoftor zögern wir weiter zu rennen. "Draußen! Diese Menschheit! Schrecklich ist das!", ich habe furchtbare Angst vor meinem Vater. Er würde alles rebellisch machen, obwohl wir uns doch nicht zu schämen brauchen. Anscheinend hat er uns doch nicht gehört, denn es ist jetzt still. Noch etwas Angst im Herzen, es könne uns jemand belauschen, bleiben wir am Hoftor stehen. Heilmann hat sich schon längst wieder beruhigt. "Warum rennst du denn fort!", lacht er mich aus. "Wolltest du, daß wir wie begossene Pudel vor unserem Vater stehen?" "Das hätt´ schon nicht so schlimm werden können!" - "Du, deine Schwester ist ja prima!" "Ja, da hast du Recht! Sie mag dich auch gern!" Dann "Gute Nacht. Ich muß noch meine Sachen für Morgen packen". "Viel Vergnügen auf der Dienstreise!" "Ich wäre schon lieber hier geblieben." Damit trennen wir uns. Als ich wieder bei Elfriede bin, vernehme ich, daß sie ganz empört ist über unser Ausreißen. "Ich war das doch. Ihr braucht doch vor mir nicht fortzurennen. Aber wie das aussah - zum Schreien!" "Mensch, ich dachte, daß es Papa sei!" "Ach, wo. Ich wollte, ihr solltet noch Augenblick reinkommen. Du, ist Heilmann noch da? Geh doch schnell hin und hol´ ihn rein. Ich habe euch in der Stube etwas Schönes hingestellt!" Das ist leider zu spät! Dann betrauerten wir gemeinsam, daß Heilmann uns für paar Tage verlassen muß. Später erzählt Elfriede mir: "Du, ich mußte brun Jüngling heute unbedingt etwas sagen. Weißt du, was ich da angestellt habe? Im Laden war Betrieb. Ich ging nach oben und bat ihn mitzukommen und etwas tragen zu helfen. In Wirklichkeit war gar nichts da zum tragen. Dann habe ich ihm oben gesagt: Ich habe eine Bitte! Wenn Sie sich für meine Schwester interessieren, müssen Sie mir versprechen, sie so, wie wir sie ihnen geben, uns zurück zu bringen! Er schaute mich ganz groß und schweigend an, daß ich ganz verlegen wurde. Sie dürfen es mir nicht übel nehmen, Herr Heilmann, aber sie wissen doch, wie ich´s meine. Sie gehören doch auch zu denen - Soldaten! Und wir möchten, daß unsere Lydia rein bleibt! Er reichte mir die Hand: Darauf können Sie sich verlassen!"

8. September 1944 In der Mittagszeit, wie ich wieder beim Bier ausschenken bin, kommt Paul zu mir an den Tresen. "Du, Lydia, ich war gestern abend auch aus! Weißt du mit wem?" Ich schüttelte den Kopf: "Kann ich mir nicht denken!" "Mit Anni vom Untergut. Sie hat mir erzählt, daß ihr gut befreundet seid." "Mit Annemie?" Mit Annemie frage ich noch mal erstaunt. "Sie ist sehr nett!" Aber das finde ich doch zu komisch, ist Annemie nicht älter als Paul? - Am Nachmittag habe ich etwas in Lüchow zu erledigen. Vor der Bäckerei Dörrie begegnet mir Annemie. Von weitem ruft sie schon: "Ly, Ly! Komm bloß mal her. Stell dir vor, ich war mit Paul aus! Ach, er ist zu prima! Ich kann mich so glänzend mit ihm verstehen. Es ist einfach zu schön!! Du kennst ihn doch, er hat mir erzählt, daß sein Freund zu dir kommt. Ach, was meinst du, er hält so viel von seinem Freund. Er erzählt nur immerzu von seinem Bibi! Aber der ist ja so still, ganz anders als Paul. Wir haben einen Abend im Gewächshaus gesessen und Gesellschaftsspiele gemacht. Da hat er ganz still in der Ecke gesessen und nicht mit gemacht!" Dann schwärmte sie noch mal von ihrem Paul, daß ich sie um ihre helle Begeisterung beneidete.

11. September 1944 Heilmann ist wieder von der Dienstreise zurück. Heute nachmittag braucht er keinen Dienst mehr zu machen. Elfriede, das goldige Schwesterchen, sorgt dafür, daß wir beide Heilmann und ich etwas von seinem freien Nachmittag haben. "Frag ihn doch mal, ob er Lust hat, zum Marken kleben. Dann könnt ihr´s beide im Clubzimmer machen!" Natürlich sind wir damit einverstanden. Heilmann erzählt mir von der Dienstreise, die weniger schön war. Seine Stimme klingt befangen! So fremd! Und mir ist, als wolle er die Fremdheit noch ein wenig aufrecht erhalten. Als wolle er nur allmählich, ganz allmählich mir näher kommen. Schritt um Schritt, daß auch nichts fehl geht. Ich spüre eine große Beklemmung im Herzen, wie immer, wenn ich bei ihm bin. Ich kann doch sonst so fröhlich und ausgelassen zu allen Soldaten sein. Aber wenn ich Heilmann in meiner Nähe weiß, wenn ich in seine Augen schaue, dann ergreift es mich ganz sonderbar und ich wage kaum zu atmen. Wie verschieden doch die gegenseitige Zuneigung zwischen zwei Menschen ist. Annemie konnte doch ihre ganze Freude zeigen! Ihr Inneres heraussprudeln lassen! Am Abend bitten wir Egon und Paul auch zum Marken zählen. Unsere sämtlichen Marken breiteten wir in der Gaststube aus. Es ist kein Bier dar. Wir sind ganz froh, sonst hätten wir gar keinen Platz mehr für unsere Marken gehabt. Im Clubzimmer spielten nämlich er Spieß und noch ein paar "höhere Herren" der Kompanie Karten. Unterdessen wir uns mit den Marken beschäftigten, beratschlagten wir, wie wir es anstellen, daß die drei noch nach Zapfenstreich (22 Uhr) bleiben können. Der Spieß in unmittelbarer Nähe macht uns Kummer! Entweder fragen oder aufpassen, daß er die drei nicht sieht, wenn er fortgeht. Elfriede hat uns gerade den Rest Sonntagspudding gebracht, wie der Spieß in der Stubentür erscheint, um nach draußen zu gehen, allerdings noch nicht nach Haus. Ich denke, das ist die beste Gelegenheit zum Fragen. "Herr Wenzel, können wohl die drei Soldaten heute noch etwas länger hier bleiben und uns bei den Marken helfen?" "Nein, nein! Um zehn Uhr ist Zapfenstreich!" Und schon war er verschwunden. So ein sturer Hammel!

12. September 1944 Am nächsten Tag halfen uns wieder die drei beim Marken zählen. Allerdings noch nach Zapfenstreich. Nur Paul verließ uns zwischendurch. Er mußte doch zu Annemie! So verlebten wir herrliche Stunden miteinander, in denen wir uns immer prächtig verstanden.

13. bis 16. September 1944 Im übrigen galten die Abende mir und Heilmann. Wenn ich vom BDM-Dienst zurück kam, wartete er auf mich. Wenn ich noch sehr lange in der Gaststube bleiben mußte, fanden wir doch noch Gelegenheit zum Beieinandersein und wenn´s nur eine kurze Zeit war. Einmal zog ich ihn mit nach oben, um für einen Soldaten einen Karton vom Hochboden zu holen. Überall mußte er mit. Ich neigte dann meinen Kopf an seine Schulter und vergrub meine Arme hinter seiner aufgeknöpften Jacke, die er zärtlich um mich schlang, denn es war Herbst und die Abende schon kalt.

Sonntag, den 17. September 1944 "Heute werden wir schon um 5 oder 6 Uhr dienstfrei haben", erzählt Heilmann mir am Mittag. "Ich habe es schon gehört und mir gedacht, wir könnten ins Kino fahren. Bist du einverstanden?" "Ja, klar machen wir!" Ich gehe indessen zu Beuthner (Bursche vom Spieß, der bei Oetkes wohnt, um mir die versprochenen Kinokarten zu holen. Er hatte zwei Karten gekauft, mit der Absicht, daß sein Kumpel mit ihm gehen würde. Der wollte jetzt nicht und so hatte er mir die Karten versprochen. Doch jetzt hat er sich umbesonnen. "Marianne fährt mit. Du kannst ja dort noch versuchen, welche zu bekommen." "Na, schade!" Daß er nicht Wort gehalten hatte, ärgerte mich sehr. Denn kurz vor der Vorstellung war es sehr ungewiß, noch eine Karte zu bekommen. Na, Heilmann und ich versuchten trotzdem unser Heil! Marianne und Beuthner waren schon fahrtbereit. Ich wollte absolut nicht mit ihnen zusammen fahren. Heilmann und ich schnappten unsere Räder. "Nicht nach vorne raus!", befahl ich "sondern über den Hof." Vor der Haustür hatte sich nämlich die Grabower und die Platelaasener Dorfjugend versammelt. Und ich wollte mich doch nicht von ihnen anpöbeln lassen. Ich stürmte mit meinem Rad voran über den Hof zur Schweinebucht hin, über den Misthaufen, raus aus der Bucht hin zum Gang zum Spritzenhaus. Da holen wir erstmal tief Luft und setzen auf. Heilmann weiß gar nicht, was los ist. Dann rase ich voran über den Untergutschen Hof, Lindenweg entlang über die Bahnhofsstraße Richtung Obergut. Da überholt Heilmann mich. Jetzt gibt er den Weg an. Aber wenn man schon Männern den Vorzug läßt. Er fährt natürlich falsch, indem er rechts zur Heerstraße abbiegt. Ich folge auf gut Glück hinterher. Gerade haben wir die Heerstraße erreicht, da sehen wir Beuthner und Marianne vor uns. Sie halten an und warten bis wir nach sind. Deswegen haben wir nun diesen schwierigen Umweg gemacht! Ich gucke meinen Begleiter an und muß furchtbar lachen. Heilmann weiß immer noch nicht recht, was los ist. Er glaubt wohl, daß ich nur vor der Dorfjugend flüchten wollte, aber ich wollte doch mit ihm alleine fahren. Getrost radeln wir zusammen nach Lüchow. Heilmann muß sich furchtbar mit unserem Fahrrad abquälen. Es geht entsetzlich schwer. So sind wir immer ein Stück zurück. Nun beginnt der spannende Moment. Wir stehen am Kartenschalter. Wird´s Karten geben oder nicht? "Nein, ausverkauft!" Es nützt nichts - wir müssen zurück! "Was wird denn überhaupt gespielt?" "Die goldene Spinne" Jetzt schieben wir aber nach Hause. Das ist ja furchtbar mit dem Rad! In Plate versuche ich, meine Handtasche auf dem Gepäckträger, der ohne Klammer ist, zu befestigen. Es will und will nicht gehen. Heilmann betrachtet die Tasche etwas mürrisch und meint: "Wofür brauchst du denn das Ding? Das geht doch auch ohne dem!" Ich muß lachen! Typisch Heilmann, der nichts mit Damen zutun haben will. Sogar die Handtasche ist bei ihm nicht nötig. Dann gehen wir weiter. Wir haben die Nähe des Heidbergs erreicht. "Du, wollen wir wirklich schon nach Hause" "Ach was, wir brauchen ja eigentlich erst dazu sein, wenn der Film beendet ist und noch etwas später." "Du, wir gehen zum Heidberg! Ich finde, das ist der schönste Flecken unserer Heimat. Ein Stück Lüneburger Heide." Dann biegen wir von der Straße links ab, verstecken unsere Räder im Gestrüpp und gehen den Weg, der zum Heidberg führt entlang. Vor uns breitet sich jetzt die wunderschöne Heidefläche aus. Wir gehen rechts den schmalen Steg entlang. "Sieh´ dort vor dem Holz standen wir in Friedenszeiten mit unseren Buden, wenn Schützenfest, Sportfest oder Fußballspielen war. Wir haben den schönsten Sportplatz hier in der Umgebung. Von weit und breit kamen die Fußballspieler nach hier. Sogar aus Hitzacker. Unsere Grabower sind gute Sportler, sie konnten sich mit anderen messen. Das Fußballfest war das größte Vergnügen für die jungen Männer unseres Dorfes. Anschließend war dann noch Tanz bei uns auf dem Saal. Da kannst Du Dir den Betrieb vorstellen." Dann erzählten wir noch vom Schützenfest und vom Sportfest: "Ich liebe keinen Sport. Wenn Sportfest ist, rücke ich am liebsten aus. Im vorigen Jahr, ich war damals grad keine BDM-Führerin, sonst hätte ich es mir nicht erlauben können, verreiste ich einfach zu einer Klassenfreundin, die eben sowenig sportbegeistert ist und froh war, daß sie jetzt wegen des Besuchs ebenfalls Grund zum nicht mitmachen hatte. In der Schule haben wir uns auch oft beide versucht, uns vor der Turnstunde zu drücken. Ich mochte lieber drei Stunden Handarbeiten als eine Stunde Turnen". Das findet Heilmann gerade nicht schön. Denn er liebt den Sport sehr. Es ist ein wunderschöner Abend heute! Der Vollmond läßt uns Heidefläche, Bäume, Sträucher und uns selbst deutlich erkennen. Man hätte sich Ohrfeigen müssen, wenn man jetzt im Kino säße und im eingeschlossenen dunklen Raum sich am fremden Geschick erfreue, wo das eigene Erleben viel, viel schöner ist! Heilmann schaut mich nachdenklich an. Zärtlich streicht er über mein Haar. "Weißt du, Lydi, du erinnerst mich immer an ein Gemälde. Es zeigt ein Mädel, das zum Meer hinüber schaut. Die Mädchengestalt mit dem langen Haar und dem reifen Gesichtsausdruck könntest du sein. Bei dem Gedanken an dich, sehe ich immer das Gemälde vor mir." Ganz leise aus innerer Überzeugung hat er es zu mir gesagt. Dann sprechen wir nicht mehr davon. Schweigend schaut Heilmann in die Ferne. Ich spüre, daß er mich liebt. "Lydi, du darfst mich nicht wieder vergessen. Auch wenn ich mal nicht mehr bei dir bin." Und nach kurzer Pause: "Ach weißt du, ich habe mal gedacht, ich möchte auch so sein wie meine Kameraden. Wie oft kommen sie spät zurück, wenn ich schon im Bett lieg, und erzählen dann ihre Erlebnisse und lachen sich über die Mädel, die sich von ihnen haben rumkriegen lassen. Aber nun bin ich doch froh, daß ich es immer unterlassen habe, das Gleiche zu tun!" "Du möchtest ein reines, klares Verhältnis mit einem Mädel! Du mußt nur immer so hart bleiben. Das ist ja gerade das, was ich an dir so schätze. Ich glaube, daß ganz selten ein Mann so ideal wie du denkst." Ihm ist ein Mädel etwas Heiliges und deshalb kann ich mich ihm so vertrauensvoll geben. "Lydi, ich liebe deinen Mund. Lach´ mal! Ich sehe es so gern. - Du hast eine so saubere Haut. Gar nicht so, als seiest du vom Lande." Ich schmiege meinen Kopf an seine Schulter. "Du, sag mir noch was Liebes!" Da muß Heilmann schmunzeln: "Ich glaube, alle Frauen mögen gern umkost werden." "Das weißt du sogar." "Das hört man doch oft genug!" Dann schaue ich ihn mit verschenkenden Blicken an: "Sagst du mir gar nichts mehr?" "Soll ich dir noch mehr verraten?" "Bitte!" Ganz tief schenkt er mir seinen Blick. Unglaublich lachend schüttelt er seinen Kopf: "Du hast so hübsche Augen. - In deinen Augen liegt dein Herz." "Ich denke das Gleiche von deinen". " Lydie, du darfst mir nie sagen, was du an mir liebst." "Warum nicht?" "Männer dürfen sich nicht umkosen lassen!" Naja, ein Heilmann mag es sowieso nicht gern! - "Du, Lydi, weißt du was? Ich muß dir etwas beichten! Du brauchst nicht weiter dadrüber zu sprechen. Es kann unter uns bleiben. Stell dir vor, ich hatte mal vier Wochen Bau". Ich bin mächtig erstaunt. "Was vier Wochen warst du eingesperrt? Mensch, warum - ? Warum denn mal bloß!" "Es kam auf eine dumme Art und Weise. Es war in Serbien. Ich hatte mir dort eine Pistole genau wie alle anderen Kameraden besorgt. Wir schickten alle die Pistole nach Hause. Beides war strengstens verboten. Und ich bin bei der Sache reingefallen. Ich hatte nämlich meinen Eltern in einem Brief das baldige Eintreffen der Pistole angekündigt. Dieser Brief ausgerechnet dieser wurde kontrolliert. Bei der Kompanie wurde Meldung daraus gemacht und so hieß es eines Tages: "Heilmann! Vier Wochen bei trockenem Brot und Wasser!" Unser Chef versuchte alles, mich von der Bestrafung zu befreien. Aber es half nichts. - Aber weißt du, einerseits war es ganz schön. Da hat man mal so richtig Zeit zum Träumen gehabt. Ach, und Paul war treu! Der hat mich jeden Tag besucht. Das war zu schön!" "Du, und was haben deine Eltern gesagt, wie sie erfuhren, daß du vier Wochen eingesperrt warst?" "Ich habe sonst keine Geheimnisse gegenüber meinen Eltern, aber dies habe ich ihnen nicht geschrieben. Ich habe sie nur gebeten, mir die Pistole zurück zu schicken, da ich sie brauche." "Na, das muß ja eine schöne Aufregung damals für dich gewesen sein." "Ach, die Kerle in unserer Kompanie waren so in Ordnung. Da war´s gar nicht so schlimm." Ich kann mich nicht genug darüber wundern, daß ein Mensch, der vier Wochen in einem öden Zimmer bei Brot und Wasser verbringen muß, sich noch wohl fühlt dabei. Aber, das ist Heilmann! Der Träumer! Dem Einsamkeit nichts ausmacht. Er paßt so richtig in das Moorland, das seine Heimat ist. Ich kenne zwar keine Moorgebiete, aber ich stelle es mir so schwermütig schön vor. Als würde man von dem Eindruck des Landes ganz ergriffen und müsse dort erstaunt mit dem Schreiten innehalten, gefesselt von dem Rauschen der Bäume, als ob dort der Wind schwermütiger, eindringlicher durch die Bäume fege. Als müsse man dort in sich hinein lauschen, wenn man das "Herz des Landes" verstehen wolle. Ich glaube, das Land würde mich so ergreifen, wie der Mensch, der neben mir steht. Und in mir wird der Wunsch wach, einmal den Moorrausch zu spüren. Oh, ich möchte einmal mit Heilmann übers Moor, übers einsame Land gehen! - "Du, Lydi, ich glaub´ das Kino ist beendet!" Erinnert Heilmann ans Heimgehen. Unterwegs fragt Heilmann ins Schweigen hinein: "Liest du eigentlich gern?" "Ich lese sehr gerne. Aber das kannst du mir glauben, daß ich sehr wenig dazu komme." "Ich lese entsetzlich gern. Schon während der Schulzeit interessierte ich mich am meisten für Literatur." "Hast du mal den Faust gelesen? Wir lasen ihn in der Schule, im letzten Schuljahr. Das hat mir.....(Tagebuch hier zerrissen) "Ach stell´ dir vor, ich konnte sogar die Faustaufführung mitmachen. Es hat mir unwahrscheinlich gut gefallen. Mein Lehrer hielt es damals für unbedingt erforderlich, daß ich an der Aufführung teilnehme." - Viel zu schnell betreten wir wieder die Grebiensche Gaststube. Die Wache, Schumacher, der es nie leiden konnte, daß ich mit Heilmann befreundet bin und meinte, der sei viel zu still für mich und ich solle doch mit ihm gehen,...."Na, habt ihr euch amüsiert? War es schön?" "Prima, der Film hieß die goldene Spinne." Heilmann und ich schauen uns schmunzelnd an. Elfriede, gib uns erstmal was zu essen. Wir haben einen Mordshunger!" Heilmann verläßt uns für einen Augenblick, um etwas vom Saal zu holen. "Du, Elfriede, wir waren gar nicht im Kino. Wir haben gar keine Karten mehr bekommen. Aber es war so viel schöner." "Ihr seid mir Motten! Ich habe doch schon gemerkt, daß irgendwas nicht stimmt."

18. bis 21. September 1944 An einem Mittag, wie auch wieder Heilmann, Paul und Egon bei uns ihre Mittagspause verbringen, schwärme ich ihnen etwas von den Unteroffizieren vor. "Mensch, ihr seid nicht mal Unteroffizier! Nein, ich mach´ euch jetzt überhaupt nicht mehr. Ich schwärme nur noch für Unteroffiziere. Die finde ich zu schick." Bis zum Unteroffizier hättet ihr es wirklich auch schon bringen können. Wie sie wieder fort müssen, sagt Paul abweisend: "Die Hand gibst du uns ja doch nicht mehr. Wir sind ja keine Unteroffiziere!" "Nein, erst dann, wenn ihr auch Litzen tragt!" - Etwas - was mir nicht an Heilmann gefällt, ist, daß er nicht soldatisch genug ist. Er läßt sich zu sehr unterdrücken. Wenn etwas erledigt werden soll, muß immer Heilmann rennen. Das ärgert mich immer furchtbar. Und ich denke mir, wenn er Unteroffizier wäre, hätte er doch auch etwas zu sagen. Ich hatte mir meinen Freund doch männlicher vorgestellt. An einem Nachmittag kommt Erwin Schmidt zu uns. "Wißt ihr schon, daß der Bursche vom Chef versetzt ist?" "Wer ist denn jetzt Bursche?" "Heilmann ist dazu ernannt worden!" "Ich wird´ verrückt!" Ich bin außer mir, auch das noch! Wie ich Heilmann bei nächster Gelegenheit treffe, teile ich ihm meine Empörtheit mit. "Was du bist Bursche beim Chef? Wie ist das möglich? Das würde ich einfach nicht machen. Warum mußt du das gerade sein? Da hätte er doch einen Schüler nehmen können." "Ich als jüngster bin für solche Sachen gut genug. Weshalb er keinen Schüler nimmt, weiß ich auch nicht. Aber ich mache das auch nicht lange. Mir stinkt´s auch!" Ich kann mich nicht damit abfinden, daß Heilmann Bursche ist und halte es ihm jedesmal vor. Ich finde das so erniedrigend. Von Paul erfahre ich an einem der nächsten Tage, daß die "große Liebe" mit Annemie aus ist. "Warum?" "Andere Ansichten, wir verstehen uns nicht. Übrigens ist Annemie krank und bestellt mir jetzt noch Grüße. Verrückt!" "Die läuft dem Paul richtig nach!", urteilt Egon grob. - Paul ist sicher sehr anspruchsvoll, denke ich.

22. September 1944 Große Vorbereitungen zum "Kameradschaftsnachmittag auf dem Heidberg" sind getroffen. Sämtliche Einwohner Grabows und noch einige Persönlichkeiten aus anderen Ortschaften sind eingeladen! Eine Künstlergruppe ist aufgestellt, die für Unterhaltung der Gäste sorgen soll. Weiter wurde noch nichts verraten. Die Kompanie ist zum Heidberg rausmarschiert. Und jetzt strömt alt und jung, groß und klein hinterher. Alle sind schon fort! Ich mache mich als letzte auf den Weg. Da kommt Erwin Schmidt mit dem Fahrrad und nimmt mich mit. Auf dem Heidberg hat schon die erste Vorführung begonnen. Eine Kampfszene wird gezeigt. Anwendung der neuen Waffe Panzerfaust. Das Ulkigste dabei ist der Panzer, von einem Graben zum anderen ist eine Schiene gelegt. Hierdrauf steht eine Kohlenlore, getarnt durch eine Unmenge Gestrüpp, die den Panzer darstellt. Der Panzer setzt sich in Bewegung, in dem "der Feind" zu sich heranzieht, mittels einem Strick, der am Panzer befestigt ist. Plötzlich stand er still, schon bevor er sollte. Dennoch klappte die Kampfszene. Dann werden die Gäste zum Kaffeetrinken gebeten. Friedensmäßigen Pflaumenkuchen gibt es sogar! Die Künstlergruppe sorgt für Unterhaltung und für Musik. Ganz idyllisch ist das Kaffeetrinken im Freien. Heilmann fotografiert die Kaffeetafel mehrere Male für den Kampaniechef. Dann heißt es: "Hier in der Nähe ist Preisschießen für jedermann!" "Da muß ich hin!" Als einziges Mädel verlasse ich den Tisch. Heilmann spendiert mir das Geld zum Preisschießen. Frau von Blottnitz, Frau von Plato, Frau Bohlmann, Frau Pahl alle versuchen ihr Heil. Und schließlich auch ich. Einmal treffe ich nicht in die Scheibe, doch zweimal sogar einen Kreis. Heilmann, der Kopf schüttelnd zugeguckt hat, muß mich wieder verlassen. Er ist ja Bursche beim Kompaniechef !! Dann gehe ich auch zu den anderen zurück. Dort tanzt gerade ein Künstler als Mädel verkleidet. Schwungvoll versteht er sich zu drehen. Plötzlich macht er Handstand und zeigt dabei seine reich von Spitzen besetzte Unterwäsche. Das gab ein fröhliches Lachen unter den Zuschauern. Paul zeigt sich unter der Menschenmenge und kommt zu mir. "Komm wir setzen uns hier, solange Bibi beschäftigt ist. Ich mußte Bursche beim Spieß sein" "Natürlich! Ausgerechnet du und Bibi müßt Bursche spielen. Das kann mich richtig ärgern!" "Naja! Ich bin jetzt gnädigst entlassen worden. - Aber unterhältst du dich überhaupt noch mit mir? Ich bin doch kein Unteroffizier!" "Ihr braucht gar nicht beleidigt zu sein, daß es mir nicht paßt, weil ihr noch nicht mehr als Obergefreiter bzw. Gefreiter seid. Ich bin der Meinung, daß man, wenn man schon Soldat ist, es auch zu etwas bringt. Man braucht ja nicht aus Angabe die Litzen zu tragen! Nein! Sich einen Rang durch Leistung erwerben und dann was man ist aus Überzeugung zu sein. Ihr müßtet überhaupt viel mehr zeigen, daß ihr Männer seid. Als Bursche besagt ihr es gerade nicht allzu sehr!" "Du stellst dir das Soldatenleben ganz schön idealistisch vor, doch ganz hundsgemein ungerecht geht es beim Kommiß her. Ganz ganz ungerecht. Glaub mir, wir hatten uns die Wehrmacht anders vorgestellt und wurden bitter enttäuscht, als wir am eigenen Leibe das Trachten und Treiben verspürten. Und dann - guck dir die Feldwebel, Oberfeldwebel, den Spieß an: Was sind sie als Zivilist? Ganz kleine Männer! Als Soldat Angeber! Weißt du, wir wollen gar nicht mehr sein, als wir sind." Dann kommt Heilmann. Zu dritt verlassen wir das Getümmel. Wir wollen uns unterhalten und alleine sein. Bald liegt der Heidberg hinter uns und wir befinden uns auf einem schmalen Steg, der am Ackerland entlang führt. Noch nie sind wir hier gegangen. In der Ferne klingt die Musik. Sonst ist es ganz still. Der Mond begleitet uns bei der Wanderung und zu ihm gehen unsere Blicke, unsere Fragen - unser Bewundern. Abnehmenden Mond haben wir. Paul erklärt uns, wie der abnehmende und der zunehmende Mond entsteht. Er spricht von Nacht und Tag, von Winter und Sommer. Über verschiedene Sterne weiß er Näheres zu erzählen. Ruhig und natürlich, ohne sich selber über sein Wissen zu rühmen, spricht er zu uns. Man könnte glauben, die drei dort zu später Stunde zwischen den Feldern seien Geschwister. Die Schwester in der Mitte hat geduldig jeden ihrer Brüder ihre Hand gegeben, worüber der Blonde hochgeschossene Paul zu weilen schmeichelnd mit der seinen hinüber gleitet. Vielleicht ohne dem, daß er es merkt. Während der zweite Begleiter, Heilmann, sie scheuer und befangener in der seinen ruhen läßt. Ich denke nicht an Vergangenheit und nicht an Zukunft. Ich sauge jedes Wort, das Paul spricht in mir auf. Es quillt Geborgensein und überaus Gereiftes aus ihm. Seine Stimme ist ruhig, sanft, klar, rein und reif. Sein Lachen unbeschwert. Paul spricht von einer reinen Liebe. Wie sie sein müsse! Das Mädel muß beim ersten Kuß - erschrocken über das Neuerleben davon laufen. Dann spricht Paul über Kindererziehung. Das man sich an dem, was man als dreijähriges Kind erlebt hat, am deutlichsten erinnert. Hat das Kind dann etwas tief beeindruckt, wird es nie wieder von ihm weichen. Vielleicht war es Uneinigkeit unter den Eltern oder ungerechte Bestrafung gegenüber dem Kinde, wird es immer wie ein grauer Schleier auf ihrer Seele haften. Daran sollten die Eltern denken und sich davor in Acht nehmen. Ja, Paul hat Recht! Und ich denke an meine Eltern, die viel Streit miteinander hatten und oft hart und barsch miteinander umgingen. Ich möchte es hier nicht näher erzählen, denn ich liebe auch meinen Vater, der damals immer der Schuldige am Streit war. Wir waren längst wieder umgekehrt und bahnten uns durch das Gestrüpp einen Weg zum Sportplatz. Wir gingen zum Dorf zurück, um eine Decke von Heilmann zu holen, der Weitscher Zug, wozu Paul gehörte, mußte nämlich auf dem Heidberg in den Zelten schlafen. Und der Herbst brachte kalte Nächte ins Land. Dann hatten wir die Bank vor Oetkes Haus erreicht. Überall war noch reges Leben. Paul holte schnell eine Decke. Überall bekannte Stimmen: "Wollen wir uns unter der Decke verstecken?", fragt Paul. "Ja, oh ja!" Und niemand der Neugierigen erfuhr, wer auf der Bank saß. Heilmann kam zurück. Wir begleiteten Paul ein Stück zum Heidberg zurück. Hüllten die Decke um uns und gingen wie gute Kameraden, die sich schon lange lange kennen, einander her. Dann sagen wir Paul gute Nacht. Heilmann und ich sind allein. "Wollen wir nochmal unseren Weg gehen?", fragt Heilmann und schon biegen wir zum Rott ab. "Du, ich muß dir etwas sagen! Ich fühle mich dir gegenüber oft so befangen und unsicher. Das oft eine beklemmende Stille zwischen uns entsteht. Meinst du, daß wir den gemeinsamen Weg gehen können, daß du mir innere Festigkeit und Reife schenken kannst?" Darauf hin sagt Heilmann: "Mancher Mensch wird nie reif!" Wir brechen wieder auf. Ich halte es nicht mehr aus neben meinem schon so vertraut gewordenen, dennoch eben erst gefundenen Freund. Ich muß allein sein, muß nach Hause. Erst im Bett finde ich wieder Ruhe. Und sinne den Worten "Man muß sich selbst treu sein!" nach. Was aber bin ich selbst? Was will ich? Und welchen Grundsätzen muß ich treu sein? Will ich einen Menschen, der reif und begabt ist, oder einen, der seine Liebe einem Mädel heute diese morgen jene verschenken kann? Oder will ich den Menschen täglich mehr und mehr gewinnen, der mir in seiner Reinheit und Schlichtheit seine Liebe schenkt? Er steht auf der Schwelle des Lebens noch, aber seine Augen, sein Blick sprechen von unsagbarer Ehrlichkeit und Geradheit, rein, unberührt, unangetastet seine Gesichtszüge! Das ist Heilmann. Aber auch Paul gefällt mir. Ich kann einfach nicht sagen, wen ich den wertvolleren nennen soll. Und dazu kommt Egon, der lebensfrohe, willensstarke Egon! Ihm scheint kein Ziel unerreicht zu bleiben. Alle drei muß man in sein Herz schließen und ihren Besitz als ein Heiligtum bewahren. Dennoch bleibt Heilmann... der beste Freund. Wir unternehmen unsere Spaziergänge wie sonst. Unverabredet - wie es gerade kommt. Heilmann erzählt mir viel über Paul. "Weißt du, Paul ist mir mehr als ein Bruder. Zu ihm kann ich zu jeder Minute kommen und ihn um Rat fragen. Er weiß immer zu helfen. Aber ich habe manchmal ein wenig Angst um ihn. Er selber nimmt das Leben schwerer als man denkt. Er wird schwer eine Frau finden, eine Frau, die den Glauben hat wie er, den festen Glauben an die Ewigkeit. Paul ist katholisch und ich evangelisch. Aber wir beide verstehen uns in den Glaubenssachen sehr gut."

Am 6. Oktober 1944 feiern wir Heilmanns 20sten Geburtstag bei uns im Klubzimmer. Elfriede und ich haben einiges zu essen hergezaubert und unsere drei haben Sekt organisiert. Da habe ich mit 17 Jahren den ersten Sekt getrunken. Es war ein lustiger Abend, wobei Egon für die Unterhaltung sorgte. Elfriede und Paul hatten für jeden eine Tischkarte gemacht, Paul hatte gezeichnet und Elfriede gedichtet. Auf meiner Karte stand: "Mädel, was hast du für Interessen? Du guckst doch wohl nicht zu sehr nach Tressen?? Bedenk´ , daß ein "Soldatenmann" auch ohne Litzen ganz sein kann." Und Egon hatte folgendes: "Einst war ich ein Jüngling mit lockigem Haar - jetzt hab´ ich nur auf der Brust noch ein paar. Die anderen nahmen mir Kummer und Sorgen um meine Frauen von heute und von morgen. Gar manches Städtchen hab´ ich gesehen und überall ließ ich ein Mädchen stehn. In Grabow haut die Sache nicht hin - drum schlag ich mir die Frauen aus dem Sinn! Für wie lange????" Wir waren so sorglos und voller Freude, vom Krieg merkten wir nichts. Jedenfalls ging es mir so, es schien alles so weit weg. Elfriede hatte zwar lange nichts von ihrem Verlobten Ernst gehört, aber von Berthold kam laufend Post aus Kreta. Daß unsere deutsche Wehrmacht keine Siege und keine Vormärsche mehr zu berichten hatten, kümmerte mich auch wenig, weil es immer wieder durch Hitlers und Göbbels Reden beschönigt wurde. Anfang September erreichten britische Truppen Brüssel und Antwerpen. Feldmarschall Montgomery hatte zehntausend Fallschirmspringer bei Arnheim am Rhein abspringen lassen, die nun die deutschen Besatzer vertreiben sollten. Es kam zu schweren Verlusten für uns. Das Ende des tausendjährigen Reichs stand unmittelbar bevor. Die Bombenangriffe auf die deutschen Städte wurden immer schlimmer. Wir verleben unterdessen noch viele schöne Stunden. Meine Liebe, meine Zuneigung gilt nur noch Heilmann. Er ist für mich der liebste und wertvollste Mensch auf dieser Welt. Wenn er mich abends nach Hause bringt und wir vor unser Haustür stehen, küssen wir uns leidenschaftlich. Ich will mehr, aber er weiß immer, wann er aufhören muß. Eines abends schaut er mich ganz lieb und ernst an und sagt: "Weißt du, ich möchte nicht, daß du in einen schlechten Ruf kommst. In eurem Dorf kennt jeder jeden und weiß auch über jeden Bescheid. Ich werde eines Tages fort müssen und ich möchte dich nicht dem Gerede ausgesetzt zurück lassen. Dies sage ich dir, weil ich dich liebe!" Wir verabschiedeten uns immer vor der Haustür. Er kam weder zu mir aufs Zimmer noch ich auf seins. Er wohnte mit Egon bei Förster Ruth. Für Frau Ruth mußte er oft für ihre beiden Söhne, die im Krieg waren, Pakete packen. Ruths mochten ihn sehr gerne. Auch ihre Söhne hießen Werner und Walter, wie Heilmann und sein Zwillingsbruder. Eines Tages hörte ich, wie zwei Soldaten sich über die Grabower Frauen und Mädchen unterhielten. Sie meinten, mit den Mädchen ist hier kein Blumentopf zu gewinnen. Aber bei den Frauen, deren Männer im Krieg sind, läßt sich ein Bratkartoffel-Verhältnis und noch viel mehr erreichen. Und dann amüsierten sie sich köstlich darüber. Nun schätzte ich Heilmann noch mehr als je zuvor. Im Oktober 44 sind die Russen in Ostpreußen eingefallen. Gumbinnen steht in Flammen, die Russen rücken stündlich weiter vor. Es bilden sich Flüchtlingstrecks, obwohl die Gauleitung jede Abreise verboten hat. Doch die Russen werden tatsächlich noch einmal von den deutschen Soldaten aus Ostpreußen heraus gedrängt. Entlang der ostpreußischen Grenze formieren sich russische Armeen. Auf 50 deutsche Soldaten kommen 500 Sowjetsoldaten. Doch, wie gesagt, für die ganze Situation an den Fronten hatte ich taube Ohren. Bei uns im Dorf war es wie im Frieden. Stets war ich im Mittelpunkt von 300 Soldaten - es war eine Wonne! Doch dann kam alles anders. Heilmann, der wie immer in der Gaststube sein Gesicht hinter der Zeitung versteckte und mir zublinzelte, bestellte mich nach draußen. "Ich muß dir was sagen. Es fällt mir sehr schwer. Wir drei haben uns freiwillig an die Westfront gemeldet." Ich war so geschockt und wollte es nicht glauben. "Warum freiwillig, ich verstehe es nicht!" "Wir können es nicht mehr verantworten, hier in dem friedlichen Dorf, fern vom Kriegsgeschehen, zuzusehen wie Frauen und Kinder, ja die ganze Zivilbevölkerung in den Großstädten und auch anderswo ungeschützt durch die Bombardierung und das Vordringen der Feinde an den Grenzen dem Krieg ausgesetzt sind." "Und da müßt ihr etwas tun und das soll ich verstehen!" Ich verstand es nicht. Eine Welt - eine sorglose, schöne - brach für mich zusammen. "Nicht die ganze Kompanie, aber zwei Züge, die ihre Ausbildung hier beendet haben, kommen an die Westfront und da gehen wir mit!" Ich war sehr sehr traurig. Wir gingen noch in den Abend hinein, schauten in den Mond und versprachen uns, uns nicht zu vergessen. Wieweit und wo wir auch getrennt sein würden, der Mond scheint überall und wir wollten jeden Abend um 22 Uhr in den Mondschein schauen und an einander denken. Mit diesem Versprechen nahmen wir beide Abschied. Am anderen Tag merkte ich auch bei den Soldaten eine gewissen Unruhe und Traurigkeit, vor allem die älteren, die Frau und Kinder zu Hause hatten, vertrauten mir und Elfriede ihre Besorgnis an. Nun ging alles sehr schnell. Wir kamen noch einmal bei uns im Klubzimmer zum Abschiednehmen zusammen. Heilmann schenkte mir sein Bild, dahinter hatte er geschrieben: "Warum sind die erlebten Stunden so schön in der Erinnerung?" Die Antwort sollte ich mir selbst geben. Ich schenkte ihm mein Bild. Ich war darauf in der BDM-Uniform und sah darauf so fröhlich aus. Und dann am Sonntag, den 22. Oktober, war es soweit. Ich hatte als BDM-Führerin mit meinen Mädchen aus Grabow und Breselenz eine sportliche Veranstaltung auf dem Heidberg. Plötzlich hielt ich es nicht mehr aus. Ich rief meine Mädel zusammen: "Hört mal, unsere Soldaten müssen heute aus Grabow fort. Sie kommen an die Front. Laßt uns zum Grabower Bahnhof gehen und von ihnen Abschied nehmen. Wir müssen uns beeilen!" Alle waren gleich damit ein-verstanden. Wir rannten so schnell wir konnten. Der Heidberg war ein Kilometer vom Dorf entfernt. In den Gärten pflückten wir Blumen, um die Soldaten damit zu schmücken. Die Herbstastern blühten und für mich heißen sie bis heute "Abschiedsblumen". Mit diesen Blumen verabschiedete sich der wunderschöne Sommer, eine kleine Spanne Zeit in meinem Leben. Wir erreichten noch die Soldaten, bevor der Zug kam. Ich suchte Heilmann. Wir wußten keine Worte, waren hilflos und befangen. Ich dachte nur: "Die Liebe wird stärker bleiben als Ferne und Trennung!" Wie der Zug mit den Soldaten abgefahren war, lief ich so schnell ich konnte nach haus, lief nach oben und schloß mich in mein Zimmer ein und weinte, weinte bitterlich. Meine Schwester und meine Eltern ließen mich gewähren und störten mich nicht. Dafür hatte Elfriede wohl gesorgt. Erst am nächsten Tag ging ich wieder unter die Menschen. Es waren ja noch Soldaten da, die wieder im Laden und in der Gaststube bedient werden wollten. Als der Kompanieführer Herr Gerster, dessen Bursche ja Heilmann war, in der Gaststube von meiner Mutter erfuhr, daß ich sehr unter dem Abschied von Walter Heilmann leide, sagte er: "Wenn ich gewußt hätte, daß ihre Tochter mit ihm befreundet war, hätte ich ihn nicht weggelassen!" Ab nun ging der Abschied immer still neben mir her. Im Geschäft mußte ich mich zusammen reißen, aber war ich allein, habe ich nur geweint. Hätten die Engeln im Himmel meine Tränen gesammelt, wäre es sicher ein Krug voll gewesen. Die schöne Zeit meiner ersten großen Liebe war nun von einem wehmütigen Schleier verdeckt und hatte mich in ein reiferes, verträumtes, zur Melancholie neigendes Mädchen verwandelt. Die Melodie der Vergangenheit ist wieder wach geworden und hat sich aufge-schwungen, ich bin in ihrem Bann und muß sie ausströmen lassen. Während ich hier schreibe, fern ab vom Lärm des Alltags, öffnet sich meine Seele und sagt "Dank für dieses Erlebnis". Es hat mich geprägt und mich in meiner Jugend vor manchem Leichtsinn bewahrt. Stand ich vor einer Entscheidung, habe ich Walter gefragt, und er gab mir Antwort, hat es verneint oder bejaht. Am übernächsten Tag muß ich fürs Geschäft nach Salzwedel. Dort war die Sammelstelle für die Soldaten. Ich wußte, Heilmann war auch dort. Schweren Herzens erledigte ich alles in der Stadt. Immer versucht, zum Fliegerhorst zu gehen, um Heilmann noch mal zu sehen. Doch dann sagte ich mir: "Nochmal Abschied nehmen! Nein, das ertrage ich nicht. Nicht noch mal". Und ging zum Bahnhof und fuhr nach Hause. Ich schrieb ihm einen Brief und bekam auch einen aus Salzwedel zurück. Die nächsten Briefe kamen schon aus dem Westen:

L 50 510 C Lgpa Münster O.K. 28. 10. 44

Meine liebe Lydia! Zunächst meinen herzlichsten Dank für Deinen Brief, den Du noch nach Salzwedel geschickt hast. Ich habe mich sehr gefreut. Nun möchte ich Dir gleich meine Adresse angeben. Vielleicht kann ich da schon in 10 Tagen Post haben. Du möchtest wissen, wie es mir geht und wie es mir bis jetzt gegangen ist? Dienstlich geht es mir gut aber etwas fehlt mir doch. Was das ist brauchst Du nicht zu wissen. (D.h. Du weißt es ja auch so). Ich wollte mir nie eingestehen, dass es so schlimm werden würde. Aber ich bin ja mit Paul und Egon noch zusammen. Das ist wenigstens ein kleiner Ersatz. Wir haben uns schon oft und gern an die Grabower Stunden (besonders an die Sofaecke) erinnert. Ach - Waren das doch Zeiten. Weißt Du noch, was vor einer Woche war? Heute ist Sonnabend. Vor 7 Tagen haben wir in Grabow Abschied gefeiert. Was kann es Schöneres geben, als lieben und geliebt zu werden. Daß ich mich nun weggemeldet habe, hat ja mit dem nichts zu tun. Ich werde es auch nicht bereuen. Ich freue mich nur, daß es immer so rein zwischen uns gewesen ist. Du hast es mir ja manchmal nicht leicht gemacht. Aber es war schön so. Manchmal mache ich mir deswegen schon Vorwürfe. Wenn man liebt, soll man nicht vernünftig sein. - Na, nun Schluß davon. Was machen Deine Unteroffiziere? Schon "Erfolg" gehabt? Nein, nein ich will nicht hetzen. Was macht denn sonst die Komp. In Grabow? Schreib mir darüber auch mal. Auf das Äußere darfst Du nun nicht so achten. Du weißt, dass ich gerne etwas nachlässig bin, aber die äußeren Umstände sind nicht so, dass einen vernünftigen Brief zustande kommen lassen. Ich möchte Dir so viel Liebes und Gutes schreiben. Mehr als ich Dir je gesagt habe. Elfriede hatte schon recht, wenn sie sagte, dass man nach der Trennung erst den gegenseitigen Wert verspürt. So nun will ich schließen. Paul ist schon am hetzen. Er will morgen auch schreiben. Heute kann er nicht mehr. Für heute sei recht herzlich gegrüßt und denke an Deinen Walter Herzliche Grüße an Deine Eltern und vor allen Dingen an ( - ) Schwesterchen. Der nächste Brief soll ihr auch gelten. Von Egon und Paul die herzlichsten Grüße. Auf der Fahrt sind wir auch in Quak. vorbeigekommen. Ich konnte nur einen Gruß an meine Mutter bestellen lassen. Wir hatten nur eine Viertelstunde Aufenthalt. Davon im nächsten Brief.

O. U. , 20. 11. 1944

Meine liebe Lydia! Ich habe nun solange nicht geschrieben. Bist Du mir schon böse? Seit meinem letzten Brief hat sich schon wieder so viel ereignet. Ich kann Dir das nicht alles schreiben. Die Briefkontrolle ist sehr streng. Wir sind nicht viel zur Ruhe gekommen. Es geht uns dreien aber noch ausgezeichnet. Paul liegt noch im Revier. Er wird wohl bald wieder entlassen. Es geht ihm schon ganz gut. Heute haben wir mal wieder richtige Sonntagsruhe. Wir sind gestern erst von einer großen Übung zurück gekommen. Das war ganz prima. Nur der Rückmarsch war wenig angenehm. Als wir am Morgen ankamen, hatten wir keinen trockenen Faden mehr am Leib. - Jetzt sind wir genau vier Wochen aus Grabow fort. Was ist die Zeit doch schnell vergangen. Wenn ich an Grabow denke, dann ist mir, als wäre ich erst gestern fortgegangen. Und wenn ich hier bin, dann meine ich, ich hätte nie etwas anderes gemacht. Es ist jedenfalls schöner, als Ausbilder zu spielen. Bei der Übung habe ich noch viele Bekannte aus Grabow getroffen. Heute höre ich seit langer Zeit mal wieder Radiomusik. Das ist ein ganz ungewohnter Genuß. Wenn man die Augen zumacht, kann man sich so schön nach Hause versetzen. Bald ist nun Weihnachten. Es sieht noch gar nicht danach aus. Hier regnet es nur den ganzen Tag. Und ein kalter Nordwest fegt durch die Bäume. Das ist jeden Tag das gleiche. Wie geht es denn Dir? Was machst Du den ganzen Tag? Noch immer Bier, Brot und Butter verkaufen, am Abend Marken kleben. Sag, wer hilft Euch denn jetzt dabei. Kommt Helmuth noch zu Euch? - Aber sag, was macht Dein Herz? Wird Dir der Abend nicht lang? Aber Du hast ja Elfriede und kannst ein Buch lesen. Das habe ich nun nicht. Paul ist im Revier. Ich bin viel mit Egon zusammen. Er hängt auch sehr an Euch. Vor ein paar Tagen haben wir uns noch lange über Religion unterhalten. Er weiß sehr gut bescheid, aber bei Paul ist es doch ganz anders. Es sind doch beide so verschiedenen Menschen. Solange einer von denen bei mir ist, kann ich zufrieden sein. Wenn man sich mit keinem richtig unterhalten kann, ist man schlecht dran. Für heute will ich nun schließen. An Elfriede will ich auch mal schreiben. Es grüßt Dich ganz herzlich Dein Walter Grüße von Paul und Egon gehen auch noch mit.

Auch an Elfriede kam ein Brief :

O. U. , den 20. 11. 1944

Liebes ....chen! Ich habe schon lange mal an Dich schreiben wollen. Aber ein Brief, der nur für Dich bestimmt ist. Zwischen uns bestehen ja keine Geheimnisse, aber es soll doch nur für Dich sein. Ich habe es immer vermieden, Dir alleine zu schreiben. Ich glaube nicht, daß Ly mir das übel nimmt. Ich weiß gar nicht, was ich zu erst schreiben soll. Hat Dein Verlobter schon geschrieben? Das ist doch wohl das, was Dich am meisten bedrückt hat. Ich kann Dir das sehr gut nachfühlen. Du hast doch mal gesagt, daß ein Mann es leichter hätte, weil er sich die Frau aussuchen kann und die Frau muß warten, bis sie genommen wird. Elfriede, ich habe auch an Dich gedacht, und wie es Dir später einmal gehen wird, wenn Du einen Mann hast, dessen geistige Interessen ganz anders laufen als Deine. Man sagt wohl, Gegensätze ziehen sich an. Aber muß nicht doch alles Sinnliche parallel laufen, um einen Anklang zu finden. Ich habe gerade in letzter Zeit gesehen, daß ein Mensch auf diesem Gebiet sehr gut geheilt wird, wenn es ihm mal richtig dreckig gegangen ist. Wenn ihm nur noch die Erinnerung an etwas Schönem geblieben ist. Wenn alles Materielle ausgeblasen war. Du brauchst Dir da keine Sorgen zu machen. Wenn ich mich gescheut habe, Dir alleine zu schreiben, dann habe ich das nur getan, um Dir nicht zu nahe zu treten. Aber Du hast mich ja schon immer so gut verstanden, Du wirst auch dies verstehen. Wenn ich ehrlich sein soll, dann muß ich sagen, daß ich eine Unterhaltung, wie ich sie mit Dir hatte, mehr vermisse, als alles andere, was mit Liebe zusammen hängt. Sei mir deshalb nicht böse, aber ich kann selbst nicht dafür. War es nicht doch ganz schön mit uns mal zu plaudern oder einen Sonntagsspaziergang zu machen? Bist Du seitdem schon mal wieder raus gewesen? So Elfriede, ich muß nun nicht soviel durcheinander werfen. Eine große Bitte habe ich noch. Versuche doch bei Lydia die Eigenschaften zu wecken, die ich bei Dir so gerne sah. Sie ist doch gerade in dem Alter, wo das näher hervortritt. Nun will ich schließen. Viele Grüße auch von Egon sendet Dir Walter.

Aus den Briefen, die ich an Walter schrieb, geht hervor, was ich in den Monaten nach seinem Fortsein in Grabow erlebte.

11. November 44: "Heute war ein Gruppenabend bei uns in der Gaststube, d.h. sie feiern noch. An-fangs war es wirklich prima. Einige Soldaten hatten fabelhaftes Essen besorgt und selbst zubereitet. Es wurden lustige Lieder gesungen und lustige Sachen erzählt. Wenn auch zwischendurch eine sture Stille herrschte, so war es trotzdem noch ganz nett. Der Abend startete bei uns in der Gaststube und ich mußte Bier ausschenken. So verlief die ganze Geschichte bis zu dem Augenblick, wo der Oberleutnant sich verabschiedete. Nach einer Weile erhob sich der Zugführer (Nill) und erzählte einen Witz. Ich hörte ihn zufällig in der Küche. Und dieser Witz hat mir genügt, mich zurück zu ziehen. Mein ganzes Inneres bäumt sich auf - auf gegen das, was man einen edlen Mann nennt. Ich hatte eine unendliche Wut auf dieses Mannsvieh, das über so etwas lachen kann! Über das, was uns Frauen das Heiligste auf der Welt ist. Und das ziehen die Männer in den Dreck !!! Das verstehe ich nicht - nie. Das kann ich nicht begreifen. Inzwischen war ein zweiter Gruppenabend bei uns. Der Abend war schöner. Er lief ohne den Chef. Und deshalb fiel die sture Stille fort. Aber das andere, was mich beim letzten Gruppenabend doch so entsetzlich geärgert hatte, kam auch hier zu später Stunde wieder zum Vorschein. - Ein Davonlaufen war leider nicht möglich. Elfriede und Mama waren schlafen gegangen."

Elfriede hatte jetzt endlich Post von ihrem Verlobten. Ernst war an der rechten Hand verwundet und lag in Graudenz bei Posen im Lazarett. Er hatte in der Nähe von Riga gekämpft, wo sie eingeschlossen waren und deshalb keine Postverbindung bestand. Von Berthold, dessen Truppe von Kreta über den Balkan zurück getrieben wurde, kam im Oktober die letzte Post. Zum Untergut Grabow waren die ersten Flüchtlinge aus Ostpreußen gekommen. Sie hatten sich von dem Verbot, das Land zu verlassen, nicht einschüchtern lassen und waren rechtzeitig geflohen. Es war der Gutsbesitzer von Witzleben mit seiner Familie und all seinen Arbeitern. Sie kamen aus dem Ort Witzleben. Auch ein Herr Weißärmel war dabei. Auch von Herders kamen schon vor Weihnachten 1944. Herr Herder war Offizier und hatte rechtzeitig erkannt, daß Ostpreußen verloren ist und dafür gesorgt, daß seine Familie in Sicherheit kam. Er war an der Front. Ich sollte mit meinen BDM-Mädchen 64 Grabower Kinder zu Weihnachten mit Spielsachen erfreuen. Wie sollten wir das nur machen? Hätte ich doch meine drei Freunde noch da! Paul konnte so gut malen. Ich vermißte sie sehr. Wir sammelten zunächst die kaputten Spielsachen ein und reparierten sie mit Hilfe der Soldaten. Es gelang uns vier BDM-Mädel wirklich, die Kinder zu beschenken. Ich schrieb noch immer Briefe an Walter, Paul und Egon. Aber es kam keine Antwort. Die Briefe vom 11. 11. und 14. 12. 1944 kamen zurück mit dem Stempel "an Absender zurück. Neue Anschrift abwarten". Aber es kam keine neue Anschrift. Weihnachten stand nun vor der Tür. Ich fuhr mit meinem Vater zum Weihnachtsbaumverkauf nach Dannenberg. Kam ich zurück, bestürmte ich gleich meine Mutter: "Ist Post gekommen?" "Nein, keine, auch von Berthold nicht!" Der Heiligabend kam. Die Bescherung fand in einer bedrückenden Stille statt. Jeder versuchte sich eine Freude vorzutäuschen, doch in Gedanken waren wir bei Berthold, Walter und seinen Freunden. Warum hatten wir bloß keine Post? Noch glaubten wir, dass alle irgendwo in der Ferne unter einem Christbaum mit ihren Kameraden sitzen und an zu Hause denken. Berthold letzter Brief war vom 11. Oktober und Walters vom 20. November 1944. Am nächsten Morgen, am 1. Weihnachtstag, muss Elfriede zu Herrn Bohlmann kommen. Als sie zurück kam, sollten wir drei Vater, Mutter und ich ins Klubzimmer kommen. Elfriede hatte ganz verweinte Augen und wir ahnten schlimmes. Sie hatte einen Brief in der Hand, der an den Ortsgruppenleiter der NSDAP (Herrn Bohlmann in Grabow) geschickt war. Elfriede teilte uns nun unter Tränen mit, dass dieser Brief schon vor einigen Tagen bei Herrn Bohlmann angekommen war, aber er wollte es uns erst jetzt sagen: Berthold ist gefallen. "Mama, Papa er ist tot! Er kommt nie mehr zurück!" Oh, es war so furchtbar! Wir alle hatten Berthold so geliebt und so gehofft, dass er den Krieg übersteht. Jetzt sah ich das erste Mal in meinem Leben, dass meine Eltern sich umarmten, sie wollten gemeinsam das Leid tragen, sie klammerten sich an einander und wussten nicht ein noch aus. Wir alle hatten Angst um Mutter, da sie doch so herzleidend war. Es war ein harter Schlag für uns alle. Doch am meisten für Mutter und Vater. Mein Vater hatte so gehofft, dass sein Sohn die Landwirtschaft weiter führen würde, die er aufgebaut hatte. Nun würde er nie mehr eine Unterstützung bei seiner Arbeit haben. Dieser Krieg! Dieser verfluchte Krieg! Und das durfte man nicht mal laut sagen. Eingesperrt hätte man uns, ins KZ hätte man uns gebracht! Selbst Herr Bohlmann hatte zu Elfriede gemeint, wie sie so bitterlich weinte "Du musst doch stolz sein auf deinen Bruder. Er ist den Heldentod gestorben." Das war das Bitterste, was man ihr je gesagt hatte. Der Brief mit der Todesnachricht von Bertholds Kompanie war schon vor Weihnachten beim Ortsgruppenleiter Herrn Bohlmann eingetroffen:

"Holtemann Im Felde, den 1. Dez. 1944 Hauptmann und Kompagniechef 20429

Sehr geehrter Herr Grebien! Es ist mir eine unendlich traurige Verpflichtung, Ihnen heute mitteilen zu müssen, daß Ihr lieber Sohn, unser aller guter Kamerad Berthold, in der Nacht vom 26. Zum 27. November durch Bauchschuß gefallen ist. Er war sofort tot. Die Kompagnie hatte den Auftrag, eine Höhe zu besetzen und zu halten, als sie plötzlich von allen Seiten angegriffen wurde. Tapfer, wie immer, stand er seinen Mann inmitten seiner Kameraden bis ihn die tödliche Kugel traf. Auf der Höhe 1.305 einige Kilometer westlich der am Fluß Lim gelegenen Stadt Prijepolje 150 Kilometer südwestwärts Serajewo liegt ihr lieber Sohn zur ewigen Ruhe gebettet. Sobald sich die Möglichkeit bietet, werden wir die etwa noch vorhandenen Privatsachen nachsenden. Möge es Ihnen ein Trost sein und gleichzeitig eine Verpflichtung für uns alle, daß sein Tod für uns alle war, für die Größe und Freiheit unseres großen deutschen Vaterlandes. Fest im Glauben und in der Pflichterfüllung bis zum letzten wollen wir den geraden Weg, den der Führer uns weist bis zum Siege weiter gehen. Mit meiner und aller Kameraden Ihres lieben Sohnes tiefsten Anteilnahme bin ich stets Ihr Holtemann."

Wir mussten es nun geduldig tragen, dieses furchtbare Schicksal. Auch Mutter wurde die Kraft zum Tragen dieses großen Leides gegeben. Es wird einem Menschen wohl nie mehr Leid auferlegt, als er zu tragen vermag. Elfriede und ich waren meiner Mutter ein großer Trost und wir waren immer darauf bedacht, ihr keinen Kummer zu machen. Nach Weihnachten fuhr Elfriede nach Hedeper, um Ernst, ihren Verlobten, zu besuchen. Er hatte Genesungsurlaub bekommen. Ich halte es jetzt nicht mehr aus und schreibe am 6. 1. 1945 einen Brief an Frau Heilmann, Walters Mutter. Sie schreibt folgendes zurück:

Quakenbrück, den 13. 1. 1945 Liebes Fräulein Grebien! Heute erst erhielten wir Ihren Brief vom 6. Des Monats und ich danke Ihnen herzlich dafür. Ich hatte schon daran gedacht, an Sie zu schreiben. Aber ich wußte Ihren Namen nicht. Walter hatte mir von Ihnen geschrieben, aber nur Ihren Vornamen genannt. Leider haben auch wir seit dem 20. November keine Nachricht von Walter. Den letzten Brief hatte er in einen Briefkasten geworfen und er war in Eschede (Holland) abgestempelt. Also war er gar nicht so weit von uns. Seitdem fehlt uns auch jede Nachricht und wir sind in Sorge! Bis zum letzten Brief hatte er und auch seine Freunde noch keine Post erhalten. Inzwischen bekamen wir zwei Briefe zurück mit dem Vermerk: "neue Anschrift abwarten". Aber das Luftgaupostamt hatte sich inzwischen geändert, anstatt Münster heißt es nun Unna-Westfalen. Wir wollen nun hoffen, daß wir bald gute Nachricht von ihm bekommen. Wir geben Ihnen dann sofort bescheid. Trotzdem wir keine Post von Walter bekommen, schreiben wir laufend weiter an ihn. Einmal wird er doch etwas erhalten. Sollten Sie inzwischen von Walter oder seinen Freunden eine Nachricht erhalten, teilen Sie es uns doch bitte mit. Für heute muß ich schließen. Ich liege im Krankenhaus und bin operiert. Schreiben Sie aber bitte Walter nichts davon. Es grüßt Sie herzlich Ihre Frau Heilmann

Auch ich schreibe weiterhin Briefe an Walter. Am 31.1.1945 schreibe ich an Walter: "Sag mal, hast du wirklich nur dreimal während Deines Fortseins geschrieben? Der letzte Brief vom 20. 11. 44 kam erst am 9. 1. 45 an." Am 1. Februar 1945 erhielt ich die Vermißtennachricht von Walters Mutter:

O. U. den 8. Januar 1945

Sehr geehrte Familie Heilmann, ich habe die traurige Ehrenpflicht, sie davon in Kenntnis zu setzen, daß Ihr Sohn, der Gefreite Walter Heilmann, seit dem 27. November 1945 bei Jüngersdorf, Kreis Düren, als vermißt gilt. Mit der Wahrscheinlichkeit ist Walter nun in amerikanische Gefangenschaft geraten. So schwer es auch für Sie sein wird, so müssen Sie damit rechnen, daß er gefallen oder auch verwundet sein kann. Bei den schweren Kämpfen westlich Düren konnte der Gegner unter hohen Verlusten nur in unseren vordersten Graben eindringen. Es konnte bei dem Hin- und Her leider nicht festgestellt werden, wo jeder einzelne die so tapfer ausgehalten haben, verblieben sind. Sollten Sie Nachricht über das Rote Kreuz von ihm bekommen, so teilen Sie uns selbige gleich mit. Auch uns liegt das Schicksal Ihres Sohnes sehr am Herzen. In Versorgungsangelegenheiten wollen Sie sich bitte an den nächsten Wehrmachtsfürsorgeoffizier wenden. In aufrichtiger Anteilnahme grüße ich Sie im Namen der Kompagnie recht herzlich Ihr Herbert Fischer, Feldwebel.

Diese Ungewissheit - vermisst - sollte bis Juni 1946 andauern, also anderthalb Jahre.

Vermißt. Alles Denken sucht umsonst, wo Du jetzt bist - ein karger Zettel mel-det nur: vermißt. Ob Dich verwundend eine Kugel traf? Schläfst Du wohl schon den allerletzten Schlaf? Ob Du wohl Kriegsgefangener bist? Ob Dein Freund noch bei Dir ist? Ob Dich wohl Lagerzäune umgeben? Wo Du spürst das harte Leben? Ich wart auf Dich, vergiß es nicht. Kommst Du auch blind oder lahm zurück, ich bleib bei Dir, denn das wird unser größtes Glück.

Am Sonntag, den 4. Februar 1945 war die Gedenkfeier für meinen Bruder Berthold in der Kirche zu Plate. Für uns war es selbstverständlich, dass die Trauerfeier in der Kirche statt fand und nicht in einem Saal von der NSDAP, eine sogenannte Heldengedenkfeier, wie ich sie einmal in Breselenz als BDM-Führerin erlebt habe. Unsere ganze Verwandtschaft und viele Grabower und Beutower nahmen an der Gedenkfeier teil. Folgende Gesänge wurden angestimmt: Nummer 599, 88 Vers 9, 314 Vers 13. Der Pastor sprach über das Wort: Fürchtet Euch nicht, glaubet nur. Auch über Bertholds Konfirmationsspruch wurde gesprochen: "Sei getreu bis in den Tod, so will ich Dir die Krone des Lebens geben." (In der Johannes-Kirche in Lüchow ist auf einem Fensterbild dieser Bibelspruch dargestellt: Ein kniender Soldat erhält die Krone des Lebens.) Aus einem Schreiben meiner Mutter geht hervor, wer Kränze brachte: Wir, Kaisers, Jamelner, Wibbeser, Lenzer, Gureitzer, Wustrower, Rebecker: von Schröder und Grebien, Möller aus Beutow (mit dem Sohn war Berthold in Göttingen zusammen), von Onkel Heinrichs Schwester aus Lichtenberg, Tischler Schulz aus Jameln, Maartsch aus Jameln, Meyer aus Breese in Bruch, Ortsgruppenleiter aus Jameln, die jungen Leute von Grabow und die jungen Leute von Beutow, von Blottnitz und Kabelitz. Im ganzen waren es 19 Kränze. Im Frühjahr 1945 kommen die nächsten Flüchtlinge aufs Unter- und Obergut. Unsere Soldaten verlassen jetzt unser Dorf und kommen alle zum Einsatz. Wahrscheinlich Anfang April fahren ununterbrochen die Fahrzeuge der deutschen Wehrmacht durch unser Dorf Richtung Elbe, also gen Osten, immer an unserem Haus vorbei. Elfriede und ich bekommen nachts keinen Schlaf, denn unser Schlafzimmer ist an der Straßenseite. In der Zeit kommen auch die Flüchtlinge mit ihren Trecks über die Elbe. Eines Tages hören wir eine laute Detonation. Wir laufen nach draußen. Es können Bombeneinschläge sein. Keiner weiß, was los ist. Frau Bohlmann und Frau Oetke sind mit dem Fahrrad unterwegs nach Dannenberg zur Roten Kreuz-Versammlung. Sie sehen vom Stadtrand aus Feuer in der Stadt, die Straßen sind abgesperrt, sie kehren um. Sie konnten uns nichts genaues berichten. Später erfuhren wir, dass in Dannenberg um den Marktplatz herum und auf der Dömitzerbrücke, wo Flüchtlingstrecks unterwegs waren, Bomben fielen. Nicht weit von Dannenberg war ein Munitionslager. Das sollte eigentlich getroffen werden. Nun hatte es die Flüchtlinge und viele Dannenberger getroffen. Viele Geschäfte waren zerstört, 80 Tote hatte es gegeben. Die Flüchtlinge aus dem Osten, von denen immer mehr auch nach Grabow kommen, berichten, dass ihnen die Russen auf der Spur waren. Sie hatten es noch gerade geschafft, über die Elbe zu kommen, bevor die Dömitzer-Brücke gesprengt wurde. Eines abends kam meine Freundin Haldis vom Obergut zu mir nach haus. Sie machte auf dem Obergut bei dem Bruder von Herrn August von Plato ihr Pflichtjahr: "Ly, ich muss dir was sagen. Wir verlieren den Krieg. Es geht zu Ende. Herr von Plato ist Offizier. Er weiß es. Ich soll nach Hause fahren nach Bad Pyrmont, sonst komme ich vielleicht nicht mehr weg. Ich wollte mich von dir verabschieden." Noch ehe ich etwas sagen kann, ist sie wieder weg. Das kann doch nicht wahr sein! Wir verlieren den Krieg! Alles Leid ist umsonst. Ich kann und kann es nicht glauben. Es soll doch noch die Wunderwaffe eingesetzt werden, die uns auf jeden Fall den Sieg bringt. Noch im April kommen die Fahrzeuge der deutschen Wehrmacht ununterbrochen Tag und Nacht vom Osten zurück wieder an unserem Haus vorbei, so dass Elfriede und ich nicht zur Ruhe kommen. Eines Nachts klopft es ganz laut an unsere Haustür: Elfriede und ich hören es. Wir hören es, stehen aber nicht auf, weil wir so kaputt sind. Am nächsten Tag hören wir von unserer Nachbarin Peters Mutter, dass ein Wehrmachtsangehöriger in Not war. Er brauchte für sein Fahrzeug Kühlwasser und sie hatte ihn ins Haus gelassen. In den nächsten Tagen hieß es, die Amerikaner sind nicht mehr weit entfernt. Kurz vor dem Ende kam der Ortsgruppenleiter der Partei zu mir. Er war sehr aufgeregt und ängstlich: "Lydia, komm wir müssen unsere Bücher verbrennen. Die Amis kommen. Wenn die bei uns etwas von Hitler finden, werden wir eingesperrt." Er brachte einen großen Packen Bücher, Hitlerbilder und sogar "Mein Kampf". Wir gingen in unseren Garten. Mein Vater, der stets gegen Hitler war, brachte geschnittenes Stroh und darauf stapelten wir unsere Hitlerschriften. Indem wir das Stroh ansteckten, begann unser Vernichtungswerk. Wir hofften, dass uns niemand beobachtet hatte. Doch unser Ortsgruppenleiter war auch unser Lehrer und wer wollte es schon mit ihm verderben. Am selben Tag ruft meine Freundin Ilse aus Jameln an: "Hier ist ein Verpflegungslager mit Konserven aller Art und sehr viel Schnaps freigegeben. Jeder kann sich holen, soviel er will, damit es nicht in Feindes Hände kommt. Holt euch auch was!" Das war meinem Vater zu gefährlich. Er machte es nicht, denn es hieß schon: Die Amerikaner kommen. Alle Männer im Alter von 16 bis 65 Jahren wurden zum Volkssturm berufen. Sie sollten jetzt Panzersperren bauen. Mein Vater fasste sich an den Kopf und sagte: "Damit können wir doch die amerikanischen Panzer nicht aufhalten." Deutsche Soldaten verbarrikadierten sich in einigen Häusern im Dorf und wollten Widerstand leisten. Mein Vater hatte sich einen Planwagen gemacht. Er spannte die Pferde an. Wir beluden den Wagen mit Federbetten, Kleidung und Lebensmitteln. Man konnte nicht wissen, vielleicht wurde noch alles kaputt geschossen. Er wollte das Notwendigste retten und fuhr damit zu den Jeetzel Wiesen weit ab vom Dorf. Wir liefen zu Tante Emma, denn sie hatte einen guten Keller. Dort wollten wir Schutz suchen. Nach Stunden voller Aufregung und Bangens sahen wir aus dem kleinen Kellerfenster, dass die Nachbarn ihre weißen Bettlaken zum Zeichen der Kapitulation aus dem Fenster gehangen hatten. Schnell machten wir es auch so. Und schon kamen die amerikanischen Panzer. Sie fuhren alle Straßen ab und besetzten unser Dorf. Dies war am 20. April 1945. Nach einer Weile konnten wir aus unserem Versteck vorkommen. Jetzt sahen wir, dass dort, wo die Deutschen geschossen hatten, die Häuser brannten. Das Haus von Onkel Heinrichs Bruder Adolf am Weg zum Rott war total zerstört. Vater kam aus den Wiesen zurück und sagte, ihn hätte es dort bald erwischt. Denn auf dem abgelegenen Hof von Braunschweig (Grabower Mühlenschulz) hatten auch die Soldaten geschossen. Dort brannte die Scheune ab. Die Amerikaner nahmen die deutschen Soldaten gefangen, die sich im Dorf aufhielten und sperrten sie bei uns auf der Diele ein. Sie wurden streng bewacht. Trotzdem versuchte Elfriede, ihnen Decken zu bringen. Sie wurde aber trotz ihrer Englischkenntnisse hart abgewiesen. Das ganze Dorf hatte sich ergeben. Der Captain ging zum Bürgermeister, der Parteimitglied war, als Nazi galt und deshalb seinen Posten los wurde. Ein Parteiloser wurde gesucht. Das war mein Vater und er musste die Bürgermeisterei übernehmen. Eines Tages musste ich für die Bürgermeisterei zur amerikanischen Kommandantur nach Dannenberg. Auch der Lehrer musste dorthin. Wir fuhren beide mit dem Fahrrad die 11 km. Auf dem Hinweg sagte er immer wieder: "Denk auch daran. Wir dürfen nicht den Arm heben und mit "Heil Hitler" grüßen!" Das war uns ja so in Fleisch und Blut übergegangen., dass wir Mühe hatten, es zu unterlassen. Als wir uns nach dem getrennten Besuch bei der Kommandantur wieder trafen, mussten wir beide gestehen, dass wir den Arm schon hoch aber Gott sei Dank nichts gesagt hatten. Hier sahen die Amis drüber weg. Doch mein lieber Lehrer, den wir alle im Dorf sehr schätzten, lebte in Angst vor dem Internierungslager der Entnazifizierung. Noch bevor sie ihn einsperrten, starb er plötzlich am Frühstückstisch. Nach einiger Zeit normalisierte sich das Leben und auch der Umgang mit unserer Besatzung. Trotzdem hatten Elfriede und ich Angst. Die Amerikaner könnten nachts versuchen, in unser Schlafzimmer zu kommen. Wir versteckten uns auf dem Saalboden, der war nur durch das Schlafzimmer unser Eltern über eine kleine Luke zu erreichen. Wir schliefen auf Liegestühlen. Es ging soweit ganz gut. Doch eines nachts hatten wir furchtbaren Durchfall. Es hatte nämlich Öl gegeben und damit hatte Mutter Berliner gebacken. Wir hatten sehr viel davon gegessen und das war uns überhaupt nicht bekommen. Wir nahmen nun zwei Eimer mit auf den Boden als Toilette. Da auf dem Saalboden nur ein schmaler Gang war, mussten wir schon ziemlich balancieren. Im Laden hörten wir dann, dass die Amerikaner wirklich in einige Schlafzimmer eingedrungen waren. Wir hörten aber auch, dass sich junge Flüchtlingsfrauen mit ihnen angefreundet hatten. Sie bekamen von ihnen Schokolade und die besten Lebensmittel, denn zu essen gab es sonst nicht viel. Jedenfalls war jetzt wieder viel los in unserem Dorf. Eines Tages wollen die Amis, dass die großen Häuser geräumt würden. Wir mussten auch raus. Unser Haus wurde Feldküche. In der Gaststube wurde das Fleisch auf den Tischen zerhackt und von den Gardinen wurden Putzlappen gemacht. Auch den Laden sollten wir räumen. Das war wirklich schwierig. Unsere Kunden, hiesige und fremde, boten sich an, uns zu helfen. Es sollte alles zu Kaisers gebracht werden. Dabei wurden wir sehr bestohlen. Von unserem selbstgemachten Wein sahen wir nichts wieder. Das Verrückte war, dass wir am nächsten Tag unseren Laden wieder einräumen durften. Die dies erlaubten, waren nicht dieselben, die das Ausräumen angeordnet hatten. Elfriede und ich konnten nun weiter im Laden verkaufen. Vater und Mutter durften weiterhin ihr Vieh versorgen. Gewohnt aber haben wir bei Tante Emma. Wir kamen auch mit den Amis ins Gespräch: Sie verängstigten uns dauernd, indem sie uns versicherten, dass unser Kreis zu den Russen käme. Sie würden eine schnurgerade Grenze ziehen und nicht die Elbe als Grenze nehmen. Bis zur Elbe war das ganze Ostgebiet von den Russen besetzt. Elfriede und ich packten uns einen Rucksack. Außen hängten wir uns einen Kochtopf an. Wir wollten auf keinen Fall unter russische Besatzung geraten. Wir hatten furchtbare Angst vor den Russen. Nach Gerüchten hatten die Russen die Frauen vergewaltigt und Frauen, die sich wehrten, umgebracht. Wir waren uns noch nicht einig, wo wir in diesem Fall hinwollten. Ich wollte nach Quakenbrück zu Walter Heilmanns Eltern und sie wollte nach Hedeper, wo ihr Verlobter Ernst zu Hause war. Auf keinen Fall wollte ich nach Hedeper. Das lag mir zu dicht an der Grenze zum russisch besetzten Teil. Am 25. April 1945 war Berlin eingeschlossen. Überall wurde noch Widerstand geleistet. Wer sich ergeben wollte, wurde von der SS aufgehängt oder erschossen. Am 30. April erschoss sich Adolf Hitler. 60 Millionen Tote hatte er auf dem Gewissen. Außerdem zerbombte Städte, den Verlust der deutschen Ostgebiete, Tausende Flüchtlinge, Obdachlose, verwaiste Kinder und verwitwete Frauen. Auch Göbbels nahm sich und Familie das Leben. Am 2. Mai fiel Berlin. Am 8. Mai war der Krieg zu Ende, bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Auch unser Dorf war voller Flüchtlinge. Auf dem Obergut bei von Platos waren ca. hundert Menschen, davon 28 Kinder, die in großen Trecks gekommen waren und alle ernährt werden mussten. Herr und Frau von Plato bewältigten dies mit Hilfe der Flüchtlinge sehr gut. Das Schloss wurde später Kriegsversehrtenheim. Nach dem völligen Zusammenbruch des deutschen Reiches kam die Hungersnot. Wir waren zwar nicht davon betroffen, aber in unserem Laden wurde jetzt auch alles knapp. Wir konnten keine Ware mehr bekommen und konnten unseren Kunden fast nichts mehr auf ihre Marken verkaufen. Da kam ein Telefonanruf von der Molkerei in Jameln: "Ihr könnt Butter kriegen. Ihr müsst euch die nur selber holen!" Aber wie sollten wir denn das machen? Bei uns waren die Amerikaner und sie verboten uns, das Dorf zu verlassen. Meine Mutter meinte: "Fahr du man hin. Du kannst ja bisschen Englisch und wenn die Amerikaner dich anhalten, kannst du ihnen ja klar machen, dass du Butter für die Kinder holen willst. Das werden sie doch sicher verstehen!" Ich setzte mich also auf mein Fahrrad und fuhr los. Aber ich kam nicht weit. Vor mir hielt ein Jeep und sechs schwarze Yankees sprangen raus. Sie schimpften mit mir und jagten mich zurück. Ich bekam es mit der Angst und machte, dass ich nach Hause kam. Kurze Zeit später, wir hatten nun immer weniger in unserem Laden, kam wieder ein Anruf: "Sie können Zucker, Mehl und Rosinen bekommen, wenn sie die Ware von Hamburg holen." Das wäre ja ganz wunderbar. Doch wie sollten wir das herkriegen? Hamburg ist von uns 120 Kilometer entfernt und keiner hatte einen Lkw oder ein entsprechendes Fahrzeug, die Ware zu holen. Benzin oder Dieselöl gab es ja auch nicht. Wir taten uns mit den Kaufleuten aus anderen Dörfern zusammen. Sie wussten Rat. Ein Bauer, Kaiser Lüsen, wollte uns mit seinem Holzgastrecker und Anhänger nach Hamburg bringen. Meine Mutter sagte wieder: "Fahr du man mit!" Morgens früh ging das los. Wir kamen dann ganz langsam voran. Zwischendurch, wenn wir nicht mehr sitzen konnten, stiegen wir ab und gingen zu Fuß neben dem Trecker her. Als es dunkel werden wollte, und wir gerade bis Lüneburg waren, sagte der Treckerfahrer: "Ihr wisst ja, dass wir um 10 (22 Uhr war Sperrstunde) von der Straße sein müssen. Wir bleiben die Nacht auf dem Schützenplatz. Legt euch mal auf dem Anhänger mit euren Decken zum Schlafen hin. Morgen früh geht es dann weiter." Als wir morgens aufwachten, sahen wir viele Wagen: Zigeuner, Schausteller, usw. Hatten die hier die ganze Kriegszeit verbracht? In guten Zeiten standen die Schausteller mit ihrer Luftschaukel, Kettenkarussell, Schießbuden und Honigku-chenbuden auf den Schützenfesten. Wovon leben die wohl jetzt? Da erkannte mich eine Frau aus dem Honigkuchenwagen, die in Friedenszeiten bei uns in Grabow auf den Festen gewesen war: "Komm rein zu mir und bring noch Frauen mit. Ich mache euch Kaffee." Und so tranken wir in ihrem Wagen heißen Kaffee. Wie hat uns das gut getan! Und dann ging es weiter nach Hamburg. Wir brauchten wieder fast einen Tag bis wir dort waren. Als wir nun durch die Stadt tuckerten, standen uns die Tränen in den Augen. Hier war ja alles kaputt bombardiert. Ob wir unseren Großhandelskaufmann wohl finden würden? Das schien ja fast unmöglich. Aber der Treckerfahrer kannte sich aus. Wir kamen wirklich an einer großen Halle an, die unzerstört war. Wir bekamen wirklich über unsere Bezugscheine die Ware ausgehändigt. Die Nacht blieben wir in Hamburg, schliefen wieder auf unserem Anhänger. Am nächsten Tag ging es wieder zurück. Wieder die Nacht auf dem Schützenplatz in Lüneburg und somit waren wir nach 4 Tagen wieder zu Hause. Nach kurzer Zeit zogen die Amerikaner, denn das waren die Kampftruppen, wieder ab. Wir durften wieder in unser Haus. Im Juni 45 kamen die Engländer und wir wurden britische Zone. Damit wurden allerhand neue Bestimmungen eingeführt. In der Stadtverwaltung gab es jetzt einen Bürgermeister und einen Gemeindedirektor. Die Uhren wurden zwei Stunden vorgestellt. Mein Vater wurde Bürgermeister in Grabow, da er kein Nationalsozialist gewesen war. Die Arbeit machte allerdings Elfriede für ihn. Unser Klubzimmer wurde zum Amtszimmer. Vom 17. Juli bis 2. August 1945 Konferenz von Potsdam auf Schloss Cecilienhof. Die Regierungschefs der Siegermächte des 2. Weltkrieges halten Rat über das vom Faschismus befreite Deutschland: Winston Churchill (England), Harry S. Truman (USA), Josef W. Stalin (Russland). Truman war für den wenige Monate zuvor verstorbenen amerikanischen Präsidenten Roosevelt nachgerückt. Frankreich, das nicht Konferenzteilnehmer war, trat dem Potsdamer Abkommen unter etlichen Vorbehalten am 7. August bei. Nach dem völligen Zusammenbruch des deutschen Reiches kam die Hungersnot. Der Schwarzhandel erreichte seinen Höhepunkt. Für alles Geld der Welt war nichts zu haben, aber mit Rauchwaren und Lebensmitteln bekam man alles. Auch zu uns ins Dorf kamen die Großstädter, vor allem Hamburger, die das letzte, was sie noch bei den Bombenangriffen gerettet hatten, gegen Kartoffeln und Speck eintauschten. Sie hatten auch Seidenstrümpfe, die es noch in Hamburg gab und die bei uns sehr begehrt waren. Auch Heringe brachten sie. In den Großstädten sah es ganz schlimm aus. Die Menschen hungerten nicht nur, sondern sie froren auch. Es gab kein Heizmaterial. Die Züge, mit denen sie aufs Land fuhren, waren überfüllt. Wurden sie beim Tauschen erwischt, sperrte man sie ein und ihre ergatterte Ware waren sie auch los. Wir hatten zu Hause Reichsmark genug, konnten damit aber nichts anfangen. Wir hätten uns so gerne ein Bad gebaut, aber wir bekamen kein Material. So brachten wir unser Geld zur Bank. So allmählich kamen unsere Männer aus dem Dorf, die den Krieg überstanden hatten, zurück. Aus Grabow waren gefallen: Hans-Ludwig von Plato 1940, Hermann Röcker 1942, Adolf Wolfrath 1943, Heini Wolfrath 1943, Hermann Burmester 1944, Berthold Grebien 1944, Adolf Kaiser 1944, Adolf Schulz (Büschen) 1945, Bernhard Peters vermisst 1943, Walter Ruth vermisst 1943, Wilhelm von Blottnitz vermisst 1944 und Willi Teichmann vermisst 1945. Aus Beutow waren gefallen: Werner Müller 1942, Willi Wolf 1945, Karl Schulz 1945, Alfred Grebien 1944, Georg Möller 1944, Ernst Grabow 1945. Aus unserer Verwandtschaft waren gefallen: Heini aus Wibbese, Adeles (Wibbese) Mann aus Salzhausen, Hermann und Willi aus Jameln, Berthold aus Grabow und Horst aus Uelzen. Zurück kamen: Hermann aus Gureitzen, Onkel Heinrich Kaiser, Gerhard aus Uelzen, Werner aus Wustrow (1950), Helmuth Heinz aus Uelzen und Adolf aus Rehbeck. Der Zusammenbruch war eine große Enttäuschung für mich, aber durch das viele Leid, das Hitler uns brachte, war diese Zeit für mich abgetan. Auch für die Politik zeigte ich kein Interesse mehr. Im Spätsommer 1945 begann das Feiern und Tanzen. Wir, die Jugend, machten aus allem das Beste. Für uns begannen jetzt auch schöne Zeiten. Wir freuten uns über die Jungen und Männer, die aus dem Krieg zurück gekommen waren. In Platenlaase war dreimal die Woche Tanz. Ich ging zunächst noch nicht dort hin. Auch bei uns auf dem Saal war noch kein Vergnügen. Denn wir trauerten um Berthold. Doch meine Freundin Ilse aus Jameln beredete mich dauernd telefonisch, ich solle doch kommen. Es wären zwei ganz nette, ehemalige Panzersoldaten nach Platenlaase gekommen. Ilse und ihre Schwestern übten bei ihnen zu Hause das Tanzen. Ich fuhr dann auch schließlich einmal mit dem Fahrrad zu Ilse los. Da kam mir doch ein hübscher, blonder, großer, junger Mann entgegen. Barfuß und die Harke über die Schulter tragend. Auf dem Kopf trug er eine Schiefermütze, über die ich lachen musste. Ich dachte mir gleich, das muss er sein, von dem Ilse gesprochen hat. Er schaute mich an und sagte: "Fräulein, warum lächeln Sie so?" Darauf wusste ich keine Antwort und fuhr schnell an ihm vorbei. Abwechselung hatten wir in Grabow vor allem auf dem Obergut mit den vielen Flüchtlingen. Elfriede und ich waren dort öfter eingeladen. Die Flüchtlinge veranstalteten dort geistreiche und lehrreiche Unterhaltungsabende. Auch unser Englisch konnten wir dabei auffrischen. Einmal fuhren meine Freundinnen und ich mit der Kutsche eines geflüchteten Gutsbesitzers bis Hitzacker. Das war eine tolle Abwechselung. Vieles war aufregend und positiv im Sommer 45. Meine Freundinnen nahmen mich überall mit, zerrten mich förmlich aus dem Haus, damit ich etwas Abstand zu meinem Kummer um Walter bekam. Wenn wir tanzen gingen, war um 22 Uhr Sperrstunde und wir mussten von der Straße sein. Das gelang uns nicht immer. Sahen wir ein Auto kommen, sprangen wir in den Graben. Wir alle fanden die Sperrstunde reichlich blöd, wo wir doch noch so gerne getanzt hätten. Im August 45, ich hatte Ladendienst, plötzlich kam der junge Mann, dem ich auf dem Wege nach Jameln begegnet war, zu uns in den Laden. Ich war ganz verdaddert, wie ich ihn sah. Er kaufte mit seinen Lebensmittelkarten ein und sagte, er wäre bei seinem Cousin in Platenlaase und dessen Frau schicke ihn. Ich bediente ihn und schnitt die entsprechenden Marken für die Ware ab. Er verabschiedete sich höflich. Doch es dauerte nicht lange, da war er wieder im Laden. "Fräulein, meine Cousine schickt mich wieder zurück. Sie haben mir 50 Gramm Brotmarken zuviel abgeschnitten. Sie möchte die Marke zurück haben." Dabei lächelte er amüsiert, als wolle er sagen, nun habe ich wenigstens gleich die Gelegenheit gefunden, sie wieder zu sehen. Ich dachte nur: "Die Frau ist ja plemplem - wegen 50 Gramm Brotmarken" Aber in Ordnung war es schon und ich händigte ihm die 50 Gramm-Marke aus. Dann schauten wir uns an und irgendwie - war es um uns geschehen. Ich unterhielt indessen regen Briefwechsel mit Frau Heilmann. Sie schrieb mir, dass ihr Mann und ihr Schwiegersohn nach Jüngersdorf, Düren und Aachen gefahren seien, um Gewissheit über Walter zu bekommen. Später erfuhr ich, dass sie nichts erreicht hatten. Walter blieb vermisst. Nun eines abends, es war wohl im September 45, kamen meine Platenlaaser und Jamelner Freunde Reinhard, Ernst-August, Franz mit diesem gewissen jungen Mann zu uns in die Gaststube. Sie wollten mich sprechen: Sie hätten in Breselenz einen Fußballverein gegründet. Nun solle die Gründungsfeier mit Tanz bei Soetbeer in Jameln sein. Dazu wollten sie mich, Ulla, Marianne und Hanna einladen. Der junge Mann stellte sich nun als Dieter Kulow vor. Ich war sehr überrascht. Wann das Fest stattfinden sollte, würden sie noch bescheid sagen. Ob das meine Eltern im Trauerjahr erlaubten - ich glaubte nicht und konnte noch nichts dazu sagen. Dann meinten sie, sie hätten gehört, dass man bei uns Tischtennis spielen könne. Ja, das könnten sie. Und dann kamen sie fast jeden Abend zum spielen. Doch nach einiger Zeit kam Dieter Kulow allein und wir spielten beide zusammen. Unser Tischtennis war jetzt in der Küche, weil es auf dem Saal zu kalt war. Plötzlich kommt Elfriede in die Küche: "Würdet ihr wohl Frau Sowieso aus Beutow durch den Rott nach Hause begleiten. Sie hat allein Angst. Es ist schon so dunkel!" Dieter sagt gleich: "Ja, natürlich." Und zu mir: "Sie kommen doch mit!" Auf dem Heimweg versuchte Dieter mich zu küssen, aber ich wollte nicht. Trotzdem kam er immer wieder. Im Winter 45 meldete ich mich zum Kochen in Clenze an. Ich wohnte bei unser Gureitzer Verwandtschaft, fuhr mit dem Fahrrad dort hin und kam immer am Wochenende nach Hause. Ich musste immer neue Lebensmittel holen, denn die mussten wir zum kochen und backen mitbringen. An einem dieser Wochenenden waren die Fußballer wieder bei uns in der Gaststube. Der Termin für das Gründungsfest sei nun festgelegt. Sie würden uns abholen. Wie es nun endlich soweit war, kamen sie mit der Kutsche, um uns Mädchen abzuholen. Meine Eltern sträubten sich ganz entsetzlich, mich mit zu lassen. Das war jetzt nicht der Grund des Trauerjahres, sondern sie hatten etwas gegen meine Freundschaft mit Dieter. Ich merkte es wohl, doch ich bettelte, bis sie es zuließen. Draußen, es war an einem Sonntag, standen die Grabower Bengel und waren wahnsinnig empört, dass die Platenlaaser Knechte ihnen die Mädchen wegschnappten. Doch wir Mädchen waren so selig, mit der Kutsche abgeholt zu werden. Auch wurde es ein wunderbares Fest, auf dem ich das erste Mal tanzte. Dieter und ich waren immer noch beim "Sie", was uns so recht keiner glauben wollte.

Von 1946 bis 1949

Ich besuchte meine Kochschule weiter, machte im April 46 meine kaufmännische Prüfung. Zum Abschlussball der Kochschule lud ich Dieter nach Clenze ein. Wie ich nun wieder zu Hause war, ging ich auch mit der Grabower Jugend dreimal die Woche nach Platenlaase zum Tanz. Einmal sagte unser Freund Reinhard zu uns: "Kommt alle mit mir nach haus, da machen wir weiter." Er hatte Geburtstag und seine Mutter und Tante hatten allerhand zu essen für uns bereit gestellt. Dann wurden Gesellschaftsspiele gespielt, dabei ging es meistens ums küssen. Wie Dieter und ich dran waren, weigerte er sich und sagte: "Ich mache hier doch kein Schauküssen!" Wie er mich an diesem Abend - vielleicht war es auch schon nacht - nach Hause brachte, gab ich nach und ließ mich küssen. Nun sagten wir endlich "Du" zu einander. Ich erzählte ihm aber auch von meinem Freund, der vermisst wäre. Er verstand mich. Am 1. Mai 46 erhielt ich die Gewissheit, dass Walter gefallen ist. Am 27. 11. 44 sei er verwundet und am 9. 12. 44 gestorben. Frau Heilmann schickte mir die Meldung der Deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht vom 27. 3. 46. Dort hieß es nur: "Nach einer hier vorliegenden dienstlichen Meldung ist Ihr Angehöriger Walter Heilmann geb. 6. 10. 27 in Quakenbrück am 9. 12. 44 gefallen. Todesart: unbekannt, Grablage: Henri Chapelle II, Grb. 5 Rh I." Aus der Todesannonce der Eltern ging hervor, dass Walter Heilmann Gefreiter in einem Fallschirmjäger-Regiment war und seiner schweren Verwundung, die er sich bei den harten Kämpfen westlich Düren zugezogen hatte, im 21. Lebensjahr erlag. Später wurde er umgebettet auf den Kriegsgräberfriedhof in Lommel in Belgien (Block 17, Grab 537). Egon hatte seiner Mutter bereits Anfang 1946 geschrieben: "Walter Heilmann wurde am 24. 11. 1944 verwundet: Brustschuss. Bei dem Versuch, ihn zu verbinden, hats mich erwischt." Doch diesen Brief erhielt ich auch erst im Mai. Elfriede und ich hatten Post von Egon aus dem Kriegsgefangenenlager "Depot de Prisonniers de Guerre", Cherbourg-Morndu, bekommen, aber erst im März 1946. Egon war zuerst schwer verwundet in amerikanische Gefangenschaft und dann in französische geraten, weil die Soldaten, die in der französischen Zone beheimatet waren, von den Franzosen übernommen wurden. Egon war aus Koblenz. Die Franzosen behielten die Gefangenen zum Wiederaufbau. Auch die Nachricht, dass Paul gefallen war, bekamen wir erst 1946. Nun hatte ich die Gewissheit, dass Walter nicht mehr lebte. Ich konnte mich aber trotzdem nicht von ihm lossagen. Eines abends, wie Dieter mich vom Tanzen nach Hause brachte, blieb ich auf halbem Weg zwischen Platenlaase und Grabow stehen: "Dieter ich muss dir was sagen. Du bist zu jung für mich, nimmst alles so leicht, bist mir zu phlegmatisch!" Er war völlig perplex und sagte: "Dass ich zu jung bin, das hast du doch von vornherein gewusst." Er drehte sich um und ging nach Platenlaase zum tanzen zurück. Ich hörte von meinen Freundinnen, dass er sich sofort ein anderes Mädchen genommen hatte. Im Juli 46 fuhr ich nach Quakenbrück, um Walters Eltern zu besuchen. Die Bahnverbindungen waren noch sehr schlecht. Ich fuhr zuerst nach Hamburg, um mir dort ein paar Schuhe gegen Lebensmittel einzutauschen. In Hamburg übernachtete ich und kam am nächsten Tag aber nur bis Oldenburg. Es war bereits Abend und ich wurde in eine Rote-Kreuz-Baracke zum Übernachten eingewiesen. Meinen Koffer mit den wertvollen Briefen von Walter, meinem Tagebuch und meinen neuen Schuhen und sonstiger Kleidung musste ich abgeben. Als ich am nächsten Morgen meinen Koffer wieder holen wollte, waren sämtliche Koffer aus der Baracke gestohlen worden. Wir mussten nun alle auf die Kriminalpolizei warten, die den Einbruch aufnahm. Sie trösteten uns sehr und meinten, die Täter würden sie kriegen. Ich fuhr dann weiter nach Quakenbrück. Hier traf ich Walters Zwillingsbruder Werner zum ersten Mal. Mit seinen Freunden fuhren wir zum Paddeln auf der Hase, einem Nebenfluss der Weser. Hier begegneten mir noch einmal Walters Augen, wenn Werner mich ansah. Er sagte: "Hat Walter auch gesehen, dass Sie so schöne Augen haben?" Ich fühlte mich sehr geschmeichelt und hatte mich ein bisschen in ihn verliebt. Nach einigen Tagen fuhr ich wieder zurück. Ich wartete jedoch vergebens auf einen Gruß von Werner. Am 7. August 46 schrieb Frau Heilmann mir, dass sie aus der Zeitung wusste, dass die Polizei die Einbrecher geschnappt hatten und mein Koffer wieder aufgetaucht war. Bis auf die Lebensmittel war noch alles im Koffer, nur mein Tagebuch und die Briefe waren zerrissen, wahrscheinlich aus Wut, weil die Diebe in meinem Koffer keine Rauchwaren fanden.

               Berthold

 

 

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