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Wibbese um1900

Kritisch zu lesende Anekdoten
aus der Schulchronik und
aus Familienüberlieferungen

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"In uralten Zeiten soll Wibbese zwei Ortschaften gebildet haben. Hinter dem zweiten Berg von hier nach Mützingen vermutet man das zweite Dorf, weil man hier noch eine Strecke Pflaster ausgegraben hat. Später müssen beide am hiesigen Orte sich vereinigt haben, man sagt, sie seien zusammengewippt, daher der Name Wibbese."
So lehrt es Schulmeister Grimme um 1900 seine Schüler in Wibbese. In die Schulchronik schreibt er ausführliche Aufsätze mit vielen handfesten Informationen aber auch mit wortreichen Beschimpfungen der Wibbeser Bauern, so dass der Schulinspektor eine Notiz in die Chronik legt mit folgendem Inhalt:

Diese Chronik ist wegen einer Reihe von ungehörigen persönlichen Bemerkungen auf Veranlassung des Herrn Kreisschulinspektors zu den Akten gelegt.
Breselenz November 1909                               Der Ortsschulinspektor
(Unterschrift nicht lesbar)

Bei Grimmes Beschreibung von Land und Leuten muss man also seine Abneigung gegen das Dorfleben berücksichtigen. Über die Geschichte von Wibbese finden wir jedoch auch konkrete Daten.

 
Wibbese war bis 1874 ein wendländisches Rundlingsdorf. 
1874 vernichtete ein Feuer wegen der engen Bauweise in einem Rundling 13 Gebäude, also praktisch das ganze Dorf. Dazu schreibt der Schulmeister:
Im Jahre 1874 sollte Wibbese seinen wendischen Charakter verlieren. Das Dorf wurde durch eine Feuersbrunst zerstört. Am 14. Juli Nachts 3 ½ Uhr brach das Feuer beim Hauswirt Kofahl aus und griff mit solcher Gewalt um sich, dass nach kurzer Zeit 13 Gebäude in Asche lagen, nämlich die Häuser und Nebengebäude von Kofahl, Bischoff, Heuer, Stute, Stahlbohm und des Abbauers Saurcke. Das Schulhaus blieb Dank der eifrigen Arbeit der Gemeinden Fließau und Bellahn, obgleich es dicht am Feuer und unter dem Winde lag, verschont.
Noch im selben Sommer wurde quer durchs Dorf eine Straße ausgesteckt und rechts und links derselben bekamen die Abgebrannten ihre Plätze.
 
Über die Familien Kofahl und Heuer in Wibbese ist für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts einiges überliefert, da sie in Schule, Kirche und Gemeinde aktive Vorstandsposten inne hatten. Der Schulverband besteht um diese Zeit aus den Gemeinden Wibbese, Mehlfien, Mützingen, Gamehlen, Fließau, Bellahn und Teichlosen. Wie üblich hat der Lehrer eine Wohnung im Schulgebäude zu dem auch eine Scheune und Stallungen gehören, so dass der Lehrer eine kleine Selbstversorger-Landwirtschaft betreiben kann.
Johann Christopher Kofahl ist für 1859 als Schulvorsteher genannt.
 
Die außerhalb stehende Schule war bei dem Großfeuer "leider“ unversehrt geblieben. Das Gebäude war sehr alt und marode. Schon 1857 hatte man einen Neubau beschlossen, aber erst in den 70er Jahren kam es wenigstens zu einer Teilrenovierung. Als 1890 Lehrer Grimme kam, der gerade die europaweit opferreiche Grippe-Epidemie überstanden hatte, beklagte er in der Schulchronik die Zustände. In einem Raum von 20 qm unterrichtete ein Lehrer 100 Kinder. Im hohlen Fußboden lebten viele Generationen Mäuse, die den Schülern das Frühstück aus den Schulranzen holten. Die Wohnung war schlecht zu heizen, feucht, voller Schimmel und für die dreiköpfige Lehrerfamilie gab es einen Schlafraum von 2m x 1,20m . (Wohl eine sogenannte "Butze", siehe Foto). Die Butze

1892 wurde endlich eine neue Schule gebaut. Dabei gab es einen Streit zwischen dem damaligen Ortsvorsteher Johann Christopher Kofahl und dem Lehrer, der von den Kirchen- und Schulvorstehern Heuer und Schulz unterstützt wurde. 
Die streitenden Kofahl und Heuer waren über ihre Familien eng verbunden. Kofahl war verheiratet mit einer Tochter von Heuers. Vielleicht wurden da auch verwandtschaftliche Streitigkeiten ausgetragen.
Trotz manchem Streit und Hader musste man sich wieder zusammenraufen, wovon auch eine weitere Anekdote zeugt, die Lehrer Grimme überliefert:
Mit der Verkoppelungssache gleichzeitig oder sonst nach Vollendung derselben wurde die Aufbringung des Sommerschulgeldes beschlossen. Hierdurch kam die Stelle auf 250 rh zu stehen. Aber heißes Blut und erhitzte Köpfe hat dieser Beschluss bei den Bauern hervorgerufen. Den Urheber dieser Neuerung glaubten sie in dem derzeitigen Küster Knorre gefunden zu haben; an den suchten sie sich zu rächen.
In heimlicher Verbindung bei einer Tonne Bier verschwuren sie sich, dass niemand dem Küster ein Pferd wieder anspannen wolle. Lange hatte der Küster unter dieser Verschwörung zu leiden, bis endlich Heuer aus Wibbese diesen schändlichen Schwur mit den Worten: „Un wenn ick de Tonne Bier allein schall betahlen, ick spann wedder an vör Köster“, brach , seitdem haben die anderen sich auch allmählich beruhigt und wieder angespannt.
Theodor Knorre war von 1858 bis 1885 Küster und Lehrer in Wibbese. Sein früher Tod (55 J.) ist für Grimme ein Beleg für die hässlichen Zustände in der Wibbeser Schule:
Der Lehrer Knorre war früh im besten Alter verstorben. Wer die Verhältnisse genau kannte, für den waren die Gründe nicht unschwer in der seelischen Aufregung über den Kampf mit der materiellen Sorge, dem Ärger über das Gebaren der Gemeinde und den vorhin geschilderten, der Gesundheit überaus schädlichen Zuständen der Wohnung zu finden.
Nur wenige Jahre (1885-1890) blieb Georg Heinrich Rademacher Lehrer in Wibbese. Auch dafür hat Grimme eine Erklärung:
Der Lehrer Rademacher wurde leidend und entzog sich dem sicheren Verderben, indem er eine geringer dotierte Stelle in Grabow annahm.


Johann Christoph Kofahl

 
Maria Katharina Kofahl, geborene Heuer 

 
Über Lehrer Rademacher hat Prof. Notbohm bei seinen Studien für die Grabower Chronik einige Dokumente gefunden, die die Episode in neuem Licht erscheinen lassen. Demnach war der Lehrer wohl zumindest ein Querulant, der den Wibbeser Bauern bald unerträglich wurde, so dass sie ihm kündigten. Er erhielt in Grabow eine neue Stelle als Lehrer und zusätzlich als Posthalter. Es gelang ihm längere Zeit, die Grabower mit den Briefgebühren übers Ohr zu hauen. (Immer mal 5 Pf mehr zu nehmen). Es gab ein Gerichtsverfahren und am Ende musste Rademacher das Dorf verlassen und durfte es nie wieder betreten.

Weil es so beliebt ist, über die "Trinkfestigkeit" der alten Wendländer herzuziehen, hier noch ein Zitat:
Trunksucht hat die meisten Höfe sehr herunter gebracht. Wie es die Alten getrieben habe ich in Chronik I erzählt. Ihr bestes Land versoffen! Aber jetzt noch werden ungeheure Summen für Branntwein und Rum ausgegeben. Die Frauen nehmen den Rum in den Kaffee und trinken. Besonders lecker erscheint ihnen das „Bröcken“. Wird da Branntwein in eine Schale gegeben und Honigkuchen „eingebröckt“. Die Schale mit Löffel geht an den Festtagen zur Weihnachtszeit morgens Reihe herum und jeder Männlein, Weiblein, Knecht und Kind löffelt und löffelt bis oft Erbrechen erfolgt. Weihnachtsmorgen in der Kirche kann man es merken. Hochrote Gesichter und ein Geschwätz vor der Kirche.
                                                                                                                                    Na denn Prost!

Grimmes Nachfolger Gustav Meinecke, von 1905 bis 1908 Lehrer in Wibbese, berichtet ebenfalls von haarsträubenden Zuständen in den Dörfern seiner Schulgemeinde. Im folgenden Zitat soll uns aber die Gründung der Ziegelei interessieren, deren Geschichte wir später weiter verfolgen wollen.

Im Frühjahr 1907 wurde auf der Wibbeser Feldmark nahe bei Mützingen eine Ziegelei von dem Ziegelmeister Ehrenfort aus Sarenseck gebaut. Es ist das insofern ein erfreuliches Ereignis für die hiesige Gegend, als dadurch den Bauern Gelegenheit gegeben wird, ihre Baumaterialien, die sie sonst von Hitzacker herbeischaffen mussten, aus nächster Nähe zu beziehen.
Hoffentlich verschwinden nun so nach und nach die elenden Lehmkaten in Mützingen! Wenn ich jetzt die Eltern da besuchen will, weiß ich oft nicht, ob ich hineingehe oder meinen Schritt wieder heimwärts lenke: Dicker Rauch schlägt mir in der Tür entgegen, ich tappe mich zur Stube: ein Moorduft schlägt mir daraus entgegen und raubt mir den Atem, aber meinen Augen bietet sich ein seltsames Szenario: Die kleinen Kinder liegen auf dem glatten Fußboden und schlafen, die größeren sitzen mit den Eltern um einen großen Haufen Kartoffeln und lesen sie auseinander. Ein trübes Lämpchen scheint dazu: das ist das Bild, das ich oft angetroffen.

Wie gesagt hat der Schulinspektor die Auslassungen der Lehrer in der Chronik nicht gutgeheißen. Wenden wir uns deshalb den Familienüberlieferungen zu.

Die Tongrube für die neue Ziegelei gehört zum Hof der Familie Kofahl. Johann Christoph Kofahl und seine Frau Maria Katharina, geborene Heuer, hatten zwölf Kinder. Drei  starben bereits als Kleinkind, zwei  davon innerhalb einer Woche an Diphtherie.
Der Kofahlsche Hof umfasst 130 Morgen Acker, Wiesen und Wald. Auf dem nächsten Foto zeigt Familie Kofahl ihre Kies- und Tongrube.
 

Fotounterschrift: Beim Kies fahren in Wibbese.
Das Foto stammt mit unklaren Überlieferungen aus dem Nachlass der Kofahlschen Familie. Nach Recherchen über die Ziegelei vermute ich, dass es aus dem Jahr der Inbetriebnahme der Ziegelei 1907 stammt. Es ergibt Sinn anzunehmen, dass der junge Mann im Anzug der Ziegeleigründer Carl Ehrenfort ist. (Weiteres dazu auf der Seite Mützingen, obwohl die Ziegelei eigentlich zur Gemeinde Wibbese gehört.) Die Mädchen und einer der Männer gehören zur Familie Kofahl. Sie lassen sich auf dem nächsten Foto wiedererkennen.
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Familie Kofahl vor ihrem Hof etwa 1908. Rechts Johann Christoph, der 1911 tödlich verunglückt. Seine Frau wird trotz zwölf Schwangerschaften ein hohes Alter erreichen. Den Hof übernimmt Heinrich (auf dem Foto links). Die beiden jüngsten Töchter Emma und Lina werden wir auf ihrem weiteren Lebensweg begleiten.

 
 Dazu benötigen wir zunächst die

Tarmitzer Spur.

 

Das gesamte Anwesen von Kofahl existiert heute noch in nahezu unverändertem Zustand. Fotos von 2005
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