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1893
Zwischen Tiesmesland und Dötzingen
Mit Hilfe von
Irene Burmeister
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Bereich
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Die Dörfer am Elbufer zwischen Hitzacker und Neu Darchau sind eng
mit der Schifffahrt auf der Elbe verbunden. Das Hinterland mit dem
nördlichen Drawehn ist steigungsreich ("bergig" wäre
übertrieben). Schon seit 1873 können die Menschen hier eine Bahnlinie
erreichen und sind so mit der Welt verbunden. Man schippert auch viel
auf der (und über
die) Elbe und hat jenseits im ebenfalls lüneburgischen Amt Neuhaus starke
Kontakte.
Dagegen sind die Straßenverhältnisse so, dass man nicht von
"Straßen" reden kann. Sandwege verbinden die Orte
notdürftig.
Dabei gibt es größere Gewerbebetriebe in diesen Elborten. Das
Kalksandsteinwerk in Tießau und die Ziegelei in Schutschur
transportieren ihre Produkte auf der Elbe. Die Ziegelei hat eine
ansehnliche Größe mit eigener Tongrube und regelrechtem
Bergwerksstollen. Eine Lorenbahn führt zum kleinen Hafen. |
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Zwischen Hitzacker und Tießau unterhält das Gutshaus Dötzingen (wo
später Claus von Amtsberg geboren wird) das Forsthaus Junkerwerder.
Der dortige Gutsförster ist verheiratet mit Luise geb. Herfurth, einer
Förstertochter aus dem Raum Helmstedt, und 1893 erhalten sie Besuch
von Luises deutlich jüngerer Schwester Marie, die hier zwischen März
und Mai 1893 einige Wochen verbringt.
Marie, genannt Suse, schreibt ein Tagebuch, das 2001 in kleiner
Auflage veröffentlicht wurde und nur noch schwer erhältlich ist. Ihre
detailreiche Beschreibung von Land und Leuten und ihr Flirt mit dem
jungen Lehrer Adolf Tribian sind amüsant zu lesen. |
Schloss Dötzingen bei Hitzacker. |
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Ergänzung eingefügt
Juli 2013
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Die Schüler der Schule in
Tiesmesland mit dem jungen Lehrer Adolf Tribian 1893. Das Foto fand
Monika Ilsemann, deren Großvater sich hier unter den Schülern
befindet. |
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Adolf Tribian aus
Dolgow hat zu diesem Zeitpunkt gerade sein Studium in Verden/Aller beendet und in Tiesmesland seine
Referendarstelle angetreten. Aus Suses Aufzeichnungen geht hervor, dass er
sich engagiert um die Schüler kümmert, auch die Eltern aufsucht, wenn
der Schulbesuch allzu sporadisch ist, und dass er überhaupt ständig
zwischen den Dörfern zu Fuß unterwegs ist, zumal er nicht im Schulhaus
in Tiesmesland, sondern bei einem Bauern in Tießau wohnt. Er hilft, wo er kann,
spielt mit den Bauern im Gasthaus von Emma Wichtental Karten und
flirtet mit Suse ... |
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Suse ist mit der Bahn in Hitzacker angekommen (vermutlich über
Magdeburg und Dömitz). Mit ihren 16 Jahren ist sie voller Spannung auf
diese für sie andere Welt und notiert mit spritzigen Worten ihre
Beobachtungen und manchmal unerklärlichen Gefühle.
Sie nennt ihre Schwester "Ise" und "Mume" ist ihre Nichte, die schon
älter ist, als sie selbst und sie am Bahnhof abgeholt hat.
Suses Aufzeichnungen in Ausschnitten:"Mume ging mit mir nach dem Schloss, was
Dötzingen heißt, wo Graf Oeynhausen wohnt, der meines Schwagers Herr
ist. Die Mamsell, eine alte hässliche Jungfer, gab uns auch Kaffee,
der gar nichts kostete. Nun habe ich doch die halbe Mark (am
Bahnhof) umsonst ausgegeben. |
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So'n oller Krüppsetzer fuhr uns auf einem
kleinen Leiterwagen, wo auch noch Futter für die Hirsche drauflag,
hierher. Meine Schwester freute sich sehr. Mein Schwager war auf
Saujagd, die Jungen saßen alle in der Stube herum und kicherten in
sich rein. Ich vergaß es wirklich, dass ich mir vorgenommen hatte,
ihnen imponieren zu wollen. Wie sie da alle saßen und wie ich mir
dachte, dass ich die Tante von der ganzen Kolonne sei, musste ich auch
so lachen, es ist auch zu drollig. Der kleinste ist mein Liebling, er
ist sehr schlau. |
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Das Forsthaus Junkerwerder um 1900.
Blick von der Wiese an der Elbe auf das höher am Waldrand gelegne
Forsthaus. Weitere 100 Jahre früher hat es hier keinen Wald sondern
Heideland gegeben und das Anwesen war eine Schäferei. |
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....
Ich schummele mich immer mal weg. Heute morgen habe ich in der Stube
gesessen, wo es warm war, als Ise gefüttert hat. Ise hat kein Mädchen
wie wir zu Hause, sie macht alles allein und ist sehr fleißig, dass
ich mich schämen muss, aber ich will ihr helfen, soviel ich kann. Die
Kinder sind zur Schule den ganzen Tag und mein Schwager auf Jagd.
Als ich heute früh noch im Bett lag, hörte ich solch schreckliches
Tuten, als wenn zu Haus Feuer gemeldet wird. Ich dachte, es wäre ein
Unglück passiert und sprang aus dem Bett und lief nach meiner
Schwester, die mich furchtbar auslachte und sagte, das wäre ein
Elbdampfer.
Heute war Herr Tribian hier. Ise sagte, wir wollten auch noch nach
Tießau gehen und Speck in den Rauch tragen. Dann hat er auf uns
gewartet. Während Ise die Schweine gefüttert hat, haben wir mit Gustav
gespielt, und Herr Tribian hat Kartenkunststücke gemacht, die ich
nicht verstehe. Dann sind wir zusammen nach Tießau gegangen und er hat
den schweren Speck, den Ise in einen Sack gesteckt hat, ganz allein
runtergetragen. Der arme Mensch hat sich mit unserem Futter so quälen
müssen. Wir sind bald wieder umgegangen, denn mein Schwager musste bald
zurückkommen.
Da
ist Herr Tribian auch wieder mitgegangen. Man kann sehr schlecht gehen in den
Wegen mit tiefem Sand, beinah wie ein Maulwurf muss man wühlen, ich
sagte das auch. Da bot er mir seinen Arm an, und ich nahm ihn auch,
meine Schwester ging hinterher, und ich weiß nicht, ich habe sie dann
gar nicht mehr gesehen. Ich rief ihren Namen und Herr Tribian sagte,
ich sollte mich doch nicht fürchten, sie wäre jedenfalls oben
langgegangen. Es war schon ganz dunkel und fing auch ein bisschen an zu
regnen, aber das war schön, denn mein Gesicht war mir so heiß. Mir ist
der Weg furchtbar kurz vorgekommen. Herr Tribian ging mit bis an das
Kuhkoppeltor, von da an sind es nur noch ein paar Schritte bis hier,
und dann musste er den langen Weg wieder zurückgehen und es regnete
doch. Und ich weiß doch nicht, ob sein Gesicht auch heiß war und ob er
das Regnen gern hatte, und ich konnte ihm nicht mal einen Schirm
geben. Meine Schwester sagte, es würde schon wieder aufhören, und er
hatte unterwegs auch schon gesagt, dass es nicht schadete. Deshalb tut
es mir auch nicht leid, dass er mitgegangen ist.
............
Einmal war auch schon Herr Schröder von Meudelfitz
hier. Ich hatte ihn mir so als solch ollen verknöcherten Junggesellen
vorgestellt, aber das ist er nicht. Ich wollte ihn doch
feste foppen, da traue ich mich nicht ran. Er ist sehr groß und
stattlich und hat einen schönen blonden Schnurrbart, einen anderen
wie Kruse. Der hat ihn unten gerade geschnitten. Meine
Schwester sagt aber, es wäre ein guter Mensch und wer ihn zum Mann
bekäme, könnte froh sein. Ich denke es mir furchtbar, solchen Mann mit
solchem Bart zum Mann zu haben. Die Männer küssen doch ihre Frauen
selbstverständlich, manchmal sollen sie sogar ganz närrisch auf das
Küssen sein, und mit solchem Bart. Wie Selterwasser in der Nase, habe
ich gesagt, damit ziehen sie mich nun immer auf, aber ich mache mir
nichts daraus, denn es muss wahr sein. ... Herr Tribian hat keinen Schnurrbart, es wäre auch
schade, er hat solch hübschen Mund, wenn der verdeckt würde. Wir
nennen ihn F.K., das heißt feiner Kerl.
Unser Karl hat mich heute auch noch so geärgert, er hatte meine
Schürzenbänder am Stuhl festgebunden, und als ich nun aufstehen
wollte, als Herr Tribian kam, konnte ich doch nicht, er hat es aber
nicht gemerkt. Karl macht immer viel Dummheiten und bekommt auch viel
Prügel, dann tut er mir immer sehr leid, aber Ise kann mächtig hauen.
Mein Schwager haut nicht, mein Schwager ist reizend.
Heute habe ich wieder eine recht hässliche Dummheit gemacht. Noch viel
mehr ungezogen und unanständig bin ich gewesen. Ach, ich schäme mich
auch so und ich habe nun noch solche Kopfschmerzen von dem vielen
Bier. Ich trinke es doch sonst gar nicht. Eigentlich, als wir
mittenmang waren, war es ganz fein. Die Reue kommt immer hinterher.
Ich sagte zu Ise, ich möchte so gerne mal Biersuppe essen. Es ist
nicht zu beschreiben, wie helle meine Schwester ist, sie sagte, ich
könnte ja leicht mal nach Tießau gehen und Bier holen. Das habe ich
bloß gewollt, ich gestehe es zu meiner Schande. Sie wollte mich dann
gegen Abend abholen, ich könnte ruhig eine Stunde dableiben. Ich ging
dann auch nach Kassens Emma, mit dem Mozartzopf und den roten Backen,
prachtvoll rosig sind die. Als ich da war, kam Herr Seebach, das ist
ein Bauer im Dorf, der aber nichts mehr tut. Emma Wichtental ließ mich
nun nicht gleich fort und weil ich ja auch Zeit hatte, blieb ich noch
ein Weilchen. Da kam auch Herr Tribian, und dann wurden wir sehr
aufgeräumt, und Herr Seebach sagte, er könne eine Flasche Bier in
einem Zug austrinken, und er tat es auch und es ging so schlecht und
wir haben soviel gelacht und ich habe zwei Schnitt Bier getrunken und
das war doch so unanständig, dass ich da so lange gesessen hatte. Meine
Schwester kam dann und holte mich, sie machte auch ein ärgerliches
Gesicht, ich bin ganz unglücklich, ich werde nicht wieder hingehen.
Wenn das meine Tante Anstand wüsste.
...
Ich war gestern mit meiner Schwester in Hitzacker. Wir haben
Mariechens Schuhe mitgebracht. Der Schuster ist reich, der hat einen
Papagei, der ruft "Herein!". Er sagt auch: "Laat man, laat man", wenn
sein Bauer reingemacht werden soll. Meine Schwester hat mir ein Paar
Handschuhe geschenkt.
...
Am
anderen Tag ging ich mal nach Tießau. Emma Wichtental hatte mich bitten lassen,
mal runterzukommen, sie lässt sich ein Kleid machen, zu übermorgen. Da
gehen wir zum Vergnügen. Herr Tribian hat gesagt, er wäre dazu wieder
hier. Ich bin neugierig darauf, aber meine Schwester sagt, wenn er
es gesagt hat, kommt er auch.
Also Emma lässt sich ein Kleid machen und ihr Bruder hat gesagt, sie
sollte es so machen lassen, wie mein altdeutsches, was ich den Abend
in Hitzacker angehabt habe. Ich habe ihr das ausgeredet, denn sie ist
viel zu dick und groß dazu. Ich habe den Kragen von meinem schwarzen
abgezeichnet und das Muster mitgenommen und ihr einen danach
zugeschnitten, den sie sich nun draufsetzen lässt. Ich war gerade
fertig, da kam Herr Tribian mit seinem Vater. Wir haben uns so schön
was erzählt, der alte Herr Tribian und ich, der junge hat gar nichts
gesagt. Er hat sich immer hinter seinen Vater gesetzt und mich
angesehen, und ich war sowieso schon verlegen genug. Ich dachte doch,
sie wären längst nach dem Wendland, wohin sie gehören. Nun habe ich
doch wieder mit zwei Herren in der Gaststube gesessen, aber diesmal
war ich ganz sittsam. Ich hatte auch wieder so Herzklopfen, dann kann
man schon nicht viel rauskriegen. Ich war wirklich ganz leicht
geworden als sie nach kurzer Zeit fortgingen, denn Emma hatte noch
andere Wünsche und ich musste noch dableiben.
...
Wenn es in den nächsten Tagen so schönes Wetter ist, dann will mein
Schwager mal mit
mir über die Elbe fahren, ich habe noch in keinem Kahn wieder gesessen
seit damals, jetzt werde ich's wohl besser vertragen können. Wir
wollen dann am Deich runtergehen bis nach Privelack und da ist die
Fähre, da lassen wir uns übersetzen nach Tiesmesland.
Was das bloß alles für Namen sind, die hier die Dörfer haben:
Wietzetze,
Findenwirunshus, Caarßen, Rassau, Pussade. In Pussade wohnt ein
Schulmeister, der setzt sich manchmal zwei Brillen auf, ich habe ihn
mal in Dötzingen gesehen, da hatte er aber bloß eine auf. Die Kinder
nennen ihn Pußkaterköter. Dahinter liegen noch viele Dörfer mit solchen
närrischen Namen. Bei uns gibt es solche nicht, da muss man das Leben
eben nehmen wie das Leben ist: Erxleben, Eimersleben, Ursleben,
Morsleben, Schakensleben, oh, so viele gibt's. Bumsvalldria! Die Welt
ist wunderschön! Das sage ich!!!
...
Über die Elbe bin ich auch mit meinem Schwager gefahren, es war
wunderschönes Wetter. Ise fuhr auch mit rüber, sie wollte dann den
Kahn gleich wieder mit zurücknehmen. Sie sagte, in Radun, auf dem
großen See vor ihrer Tür, wäre sie immer allein gerudert. Sie fuhr nun
auch mit, und als wir dann drüben waren, wollte sie nicht allein
zurück. Mein Schwager wurde ganz ärgerlich, aber es half ihm nichts,
er musste sie erst wieder rüberbringen. Ich blieb derweil auf dem Deich
jenseits und sah mir das Panorama an, wo mich mein Schwager drauf
aufmerksam gemacht hatte. Dann gingen wir den Deich runter nach
Privelack. Wir trafen da den Lehrer, der uns erzählte, dass seine
Tochter Ostern konfirmiert würde und dass er sich sehr viel Sorgen
mache, was er nun mit dem Kinde anfangen solle. Er war ganz traurig
darüber, es sei solch gutes Kind. Dann winkte mein Schwager dem
Fährmann mit solchem weißen Holzarm, der dazu angebracht ist, und wir
fuhren nach Tiesmesland.
Wir
landeten gerade am Schulhaus, wo aber niemand drin war. Dann gingen
wir nach Tießau, wo mein Schwager noch eine Weile Skat spielte. Solche
alten Spielratten, wie das hier sind, so machen es doch die Männer bei
uns nicht. Herr Tribian spielte auch mit, ich glaube, das ist der
schlimmste. Ein paarmal war er auch hier seitdem. Wir ärgern uns immer
noch, aber ich meine es wirklich nicht böse und ich will es auch von
ihm nicht glauben. Ich glaube, er ist sehr gut. Das braucht aber
niemand zu wissen.
Morgen will ich nach Tießau gehen, ich habe Ise ihr graues Kleid
auseinandergetrennt, was mit grün besetzt ist. Doris Soltau, die
Schneiderin in Tießau, die hat solch Gestell, wo man den Rock
draufsteckt. Ise sagt, sie könne so lange nicht stehen, da will ich
hingehen und das befummeln. Eines habe ich ihr schon geändert, ein
blaues mit Knöpfen wie Bickbeeren, sagt mein Schwager.
Es wird immer schöner hier und ist immer so schönes Wetter, die
Annemonen blühen schon. Gestern Abend standen sieben Hirsche auf der
Wiese im Tiergarten, darunter ein weißer. Ich kenne den Hirsch nur aus
dem Lied: "Es gingen drei Jäger wohl auf die Pirsch, die wollten
erjagen den weißen Hirsch." Es sah fein aus, wie sie da standen. Der
Eichwald an der Elbe färbt sich noch nicht, der sieht noch ganz grau
aus.
...
Gestern und vorgestern war Herr Tribian nicht hier, und ich bekam
jedesmal so Herzklopfen, wenn die Hunde bellten. Heute war er aber
hier, ich habe eine ganze Weile hinter dem Kuhstalle gestanden und
dachte, ob er wieder nicht käme. Als er kam, bin ich schnell
zurückgelaufen und habe mich sehr geschämt. Er hat mich aber nicht
gesehen, überhaupt keiner, ich habe mich bloß vor mir selber geschämt.
Ich komme mir jetzt oft vor, als hätte ich einen mit dem Socken
gekriegt. Manchmal finde ich es schön und manchmal finde ich es
schauderhaft, dass ich immerzu heulen möchte, jetzt zum Beispiel heule
ich. Adieu!
...
Heute soll Gerste gesät werden und mein Schwager sagte, er hätte Herrn Tribian
gebeten, die Gerste über die Elbe zu holen. Herr Tribian kam auch bald
nach Tisch, ich war gerade beim Wäschelegen. Wir zankten uns noch eine
Weile, ich sagte ihm, er wäre ein Gräuel. Ich glaube, das ist ein sehr
schlechtes Wort und er hat sich sehr darüber geärgert, denn er sah
mich so groß und streng an und sagte gar nichts mehr, ich meinte es
doch aber auch nicht so schlecht und hätte es ihm gerne abgebeten,
wenn ich es man könnte bei ihm.
Weil
ich aber meine Ungezogenheit wieder gutmachen wollte, trug ich die
Ruder mit ihm runter nach dem Elbufer. Er tat dann auch gar nicht mehr
böse, was ich sehr hübsch fand, er sagte, ich sollte mitfahren. Ich
wollte erst nicht, das heißt eigentlich wollte ich schauderhaft gern,
aber eine Stimme in mir sagte mir, dass die edlen Frauen, die man
fragen soll, was sich ziemt, zweifellos nein gesagt hätten. Aber als
er dann noch ein bisschen bettelte, fuhr ich eben mit und tröstete mich
damit, dass ja keine edlen Frauen da waren. Angezogen war ich ganz gut
mit meinem roten Miederkleid, und einen Hut hatte ich auch auf, also
man tau.
Er stellte mich dann beim Steuer an, was ich immer verkehrt machte,
dann zankten wir uns wieder drum und endlich fuhren wir ganz verkehrt
an. Wir holten dann das Zeug von Schwarz, wo ich den ersten Tag das
edle Wasser zu trinken bekam. Wir tranken einen Schnitt Bier und
trollten uns dann wieder ab, und als nun Herr Tribian den schweren
Sack tragen musste, musste ich schlechtes Mädchen lachen und er sagte,
er täte es nur für mich, und ich sagte, das wäre dumm, ich hätte doch
nichts von der Gerste. Das ist doch auch wahr. Als wir zurückfuhren,
waren wir recht lustig. Wir setzten uns auf eine Bank und er gab mir
ein Ruder und zeigte wie ich es machen sollte und es ging auch bald
fein. Wir plätscherten noch eine ganze Weile auf dem Wasser herum und
lachten und schwatzten dummes Zeug und endlich balgten wir doch den Unflätssack aus dem Kahn heraus und setzten uns ans Ufer. Ach, es war
so schön, ich war so glücklich, so übermütig, und die Vögel sangen und
die Sonne ging so goldig unter und ringsherum sprosste und grünte alles
und Annemonen blühten und überall kamen frische Blättchen aus der Erde
und ich pflückte alle, die ich reichen konnte und frug ihn wie sie
hießen.
Ich
wollte ihn so gern mal reinlegen und dann tüchtig foppen, den
wahlweisen Schulmeister, aber ich glaube, dass er grässlich gescheit
ist. Er wusste alles, er hätte freilich zehnmal was Falsches sagen
können, ich hätte es ja doch nicht gewusst, aber ich merkte doch, dass
es richtig war.
...
Er sagte, er müsste nach Spölkwerder, die Kinder kämen immer nicht zur
Schule, die ollen, schlechten, und er muss sich so darüber ärgern.
...
Vorige Woche haben wir auch Kartoffeln verlesen. Die kauft ein Mann in
der ganzen Gegend auf und der bringt sie dann nach Hamburg. Ich fasse
nicht gern Kartoffeln an, weil es dann in meinen Fingerspitzen immer
so krinselt. Wenn ich Kartoffeln schäle, stippe ich die Hände immer
ins Wasser, dann fühle ich es nicht. Ich schämte mich aber, Ise zu
sagen, dass ich es nicht gern täte. Deshalb habe ich immer in meine
Hände gespuckt, da ging es dann auch. Zwei Nachmittage hatten wir auch
ein paar Frauen dazu, nun sind wir fertig.
...
Dann setzten wir uns auf die Lattenbank unter den hohen Fichten. Als
wir eben saßen, brach rums eine Latte entzwei, da hatten wir was zu
lachen. Allerlei dummes Zeug haben wir geschwatzt und uns gar nicht
gezankt. Er hat aber das meiste gesagt, ich wusste immer nichts.
Dann habe ich die Blumen gepflückt und er frug mich, warum ich es
täte, das wäre gerade, als wenn er mich nicht blühen lassen wollte.
Ich weiß nicht, was er damit sagen wollte. Dann frug
er wieder, ob ich das Gedicht "Der Blumen Rache" nicht kenne. Ich
sagte: "Ja, aber die riechen nicht." Dann haben wir uns auf die Erde
gesetzt, wo überall das trockene Heidekraut stand.
Es heißt Langen-Rätz, weil die Rätz da fließt und weil der Berg Bauer
Lange gehört. Es ist wunderschön da. Und wie wir da saßen, vor uns
alle die kleinen Teiche und allerlei Bäume, auch ganz große
Wacholderbeeren stehen da, und zwischen den Bergen durch mit ihren
dunklen Kiefernbäumen sah man die Elbe fließen und die weißen Segler,
und der Himmel war so blau, und mir wurde das Herz so schwer und fing
immer mehr an zu klopfen, ich wurde immer stiller. Einmal fiel mir
auf, dass Herr Tribian immer auf meine Füße sah. Ich hatte so alte
Schuhe an und sagte: "Meine Schuhsohlen sind kaputt." Da lachte er und
sagte: "Wenn nur weiter nichts kaputt ist", und ich dachte, ob er
vielleicht das Herz meinte, und ich bekam wieder so Angst und sprang
auf. Ob wohl ein Herz wirklich kaputtbrechen kann? Eigentlich ist es
doch nicht möglich, weil es von Fleisch ist."(
Literatur:
Suses Tagebuch). |
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Adolf Tribian macht im Jahr darauf seine zweite Lehrerprüfung und
nimmt in
Strachau auf der anderen Seite der Elbe eine Stelle an. 13
Jahre später zieht es ihn in die Nähe seines Heimatdorfes Dolgow. Wir
treffen ihn in Rehbeck wieder, wo er fasst 40 Jahre unterrichten wird.
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Vorher nehmen wir eine weitere Spur auf und beobachten die Familie des
Kapellmeisters Bernhard Kraul in
Jameln.
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Auf den Spuren von Suse 2007
(Seite erstellt im Januar 2006)
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