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April 1945
Zwischen den Fronten
Margret Voelkel und
Linde Kahl |
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Die US-Truppen erreichen am 15. April bei Gartow den
Raum zwischen Schnackenburg und Gorleben, den die deutschen Truppen als
"Brückenkopf Lenzen" möglichst lange verteidigen wollen.
Acht Tage dauern die Kämpfe an. Wie Familie Voelkel diese Zeit auf ihrem
Siedlerhof am Hang des Höhbecks erlebt hat, schildern Margret Voelkel und
ihre damals 19-jährige Tochter Linde.
Die Siedlerhäuser am Höhbeck bei Pevestorf (um 1930).
Foto unten das Haus der Familie Voelkel.
Beide Fotos erhalten von Linde Kahl |
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Margret Voelkel:
Linde
wird uns krank, eine leichte Diphtherie. Es wäre alles normal verlaufen,
wenn sie hätte Schonung haben können und das Bett hüten. Statt dessen
steigerte sich die Gefahr, wir verbringen die Nächte in der Schlucht am
Hang, da wir nachts unter Beschuss liegen. Wir räumen die nötigsten
Dinge zum Leben in den Hochbehälter, in den wir dann selber einsteigen
und dort 36 Stunden qualvoll Stunden verbringen. |
Doch da können wir nicht bleiben, wir stecken eine Stange mit weißem
Laken aus Öffnung, verlassen den Hochbehälter gerade zur rechten Zeit,
als die Amerikaner den Berg stürmen wollen, weil sie dort deutsche
Soldaten vermuten. Unsere Rettung war, dass ich mit dem Anführer
Englisch sprechen konnte, ihm sage, dass kein Militär hier auf dem Berg
, wir dort wohnen. So gewährten sie uns freien Abzug ins Dorf, ins
brennende Dorf, voller Panzer, Beschuss von Gartow. |
Wir verziehen uns in die Mosterei zurück, Ich erwirke da
Eintritt durch die
Möglichkeit der Verständigung in Englisch. Nachts schlafen wir
im Abzugsgraben in den Restorfer Wiesen, weil der Beschuss aufs Dorf so
schwer ist. Irgendwie sind wir froh, doch wenigstens die Mosterei
bewachen zu können. Doch schon am ersten Tag kommt militärischer Befehl
von den Amerikanern: Pevestorf muss geräumt werden. Alle müssen das Dorf
verlassen und werden im Wendland untergebracht. |
Die ehemalige Molkerei, in der Voelkels
die Mosterei betreiben. |
Bei einem Besuch erzählte Linde Kahl:
"Wir haben vieles im Boden eingegraben und im Hochbehälter versteckt.
Dann haben wir uns darin versteckt. Oben am Berg lagen noch deutsche
Soldaten und von unten schossen die Amerikaner. Wir hängten eine weiße
Fahne raus. Irgendwann sind wir dann den Weg nach Pevestorf gegangen. Das
war schrecklich, weil am Weg tote Soldaten und auf den Wiesen totes Vieh
lagen. Zwei Tage haben wir in der Mosterei geschlafen. Da wurde noch von
Gartow aus von den Amerikanern mit Granaten geschossen. Dann sind wir
noch nach Lomitz. Da waren wir die letzten die ankamen. Aber bei Freunden
sind wir dann noch untergekommen, obwohl alles voll war.
Ich blieb 6 Wochen dort. Aber Mutter hat schlimmes erlebt, als dann die
Russen und Amerikaner auf dem Höhbeck tagelang den Sieg feierten." |
Margret Voelkel:
Wir haben in Lomitz unsere lieben Beußels, die dort einen kleinen Hof
bewirtschaften und obgleich sie schon mit 35 Menschen belegt sind, nehmen
Sie uns noch auf und bringen uns im Bienenschauer unter. Dort ist es
still, wir sind für uns und gerne bei den Bienen. Am Tage helfen wir, wo
wir können: Ich melke, füttere die Schweine, hacke Runkeln auf dem Feld.
Karl handwerkelt, er mauert den Schweinestall aus.
Einmal fahre ich den weiten Weg nach Pevestorf durch den Forst auf dem
Rad. Wir haben Sorge, dass bei der Zerstörung die wichtigen
unersetzlichen Teile der Zentrifuge verloren gehen, es ist zu
gefährlich, das Karl fährt, er könnte als Spion erschossen werden. So
fahre ich. Armes Pevestorf! Mehrere Höfe niedergebrannt, alles belegt
von Amerikanern. Hier halfen nun wieder meine englischen
Sprachkenntnisse, um mir Eingang in die Mosterei zu verschaffen. Ein
grauenhafter Anblick der Zerstörung! Die Ballons, die mit Obstsaft
gefüllt da standen, waren angeschossen, die Scherben lagen umher, der
rote Saft hatte sich wie Blut auf dem Boden ergossen. Einige
Neger-Soldaten, die mich in die Mosterei eingelassen hatten, weideten
sich an meinem Entsetzen und führten mir grinsend noch einmal vor, wie
sie die Ballons niedergeknallt hatten. Mich aber ließen sie in Ruhe. Ich
konnte die noch nicht beschädigte Zentrifuge abbauen und die Teile auf
mein Fahrrad packen. Spät kam ich totmüde in Lomitz an. Karl hatte große
Sorge um mich gehabt.
Nach zwei Wochen kam die Nachricht, dass wir in das verwüstete Pevestorf
zurückkehren durften. Was wir sahen, war Herz zerreißend. Was wir hörten
aber noch viel schlimmer. Denn nun wurde Pevestorf allnächtlich
heimgesucht von den Russen, die über die Elbe kamen und morgens wieder
verschwanden. Alle Einwohner bis auf alte und kranke verließen nachts das
Haus und nächtigten in Wald und Feld. Die Russen hatten es auf die
Frauen und Mädchen abgesehen, da sie die zumeist nicht fanden, wurde
geplündert.
Sofort am nächsten Tag brachte Karl Linde zurück nach Lomitz zu Beußels
in Sicherheit. Ich schlafe unter den tief herab hängenden Zweigen eines
Apfelbaums, um vor den Russen geschützt zu sein viele Nächte. An einem
Sonntag fahre ich mit dem Rad nach Lomitz, wir hatten Sehnsucht nach
Linde und für Karl war die Fahrt noch zu gefährlich. Es ging glatt und
gut.
Aber in der Zeit hatte Karl zu Hause am helllichten Tage Russen Besuch,
drei junge Burschen. Die drohten sofort, ihn zu erschießen, als er auf
die Frage: wo Frau, wo Mädchen? Nur die Achseln zuckte. Aber er war
freundlich zu ihnen, lud sie zum Essen mit ein, trockenes Brot und
Radieschen, kein Bier, kein Wodka, Kuh tot, keine Milch, ganz arm.
Willig gab er auf Wunsch seine Taschen Uhr her, zeigte seine Schubladen,
dass er keine Schätze habe, gab ihnen eine alte Wolljacke. Nun stand
aber im kleinen Stübchen sein Fahrrad, ich war ja mit dem meinem in
Lomitz, sie wollten es haben. Er legte sich mit Gesten aufs Bitten -
ganz allein - kein Weg - weit vom Dorf. Da haben sie ihm alle drei die
Hand gedrückt, das Rad stehen lassen, die Uhr zurückgegeben und sind
fortgegangen. Aber Karl schickte mich sofort noch mal zurück nach
Lomitz, die Gefahr war zu groß.
Wir konnten dann bald zurückkommen, als die Engländer als Besatzung
kamen, und sie ließen die Russen nicht mehr über die Elbe. Es war eine
große Beruhigung.
Unser Häuschen hatte Stürme erlebt: erst von Amerikanern okkupiert, dann
hatten die Russen darin gehaust. Ich dachte, es würde nie wieder
bewohnbar werden. Voller Heu und Stroh und Schlamm und Dreck hatte sich
darin ein widerlicher Gestank entwickelt. Doch es wurde wieder. Wir
zogen wieder ein, heute merkt man nichts mehr davon. |
Pevestorf auf einer älteren
Ansichtskarte |
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(Aus den Lebenserinnerungen von Margret
Voelkel)
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Im nächsten Zeitabschnitt steht im Vordergrund: vergessen, verdrängen,
weiterleben. Wenn auch die meisten unserer Zeitzeugen damals
Jugendliche waren und sich somit gern an Feiern und Flirten erinnern,
sollen doch auch einige entscheidende Erscheinungen dieser Zeit zum
Ausdruck kommen.
Die
Nachkriegszeit 1945 bis 1949
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Neue Fotos von Pevestorf 2006 (Seite erstellt im August 2011)
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