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Dannenberg (Elbe) und Nebenstedt
Februar bis Mai 1945
Ergänzung Februar 2013
Aus: Chronik für die Gemeinde Splietau
"Unteroffizier
Walter Kugler, Erkennungsmarke 68415542. Am 15.4.1945 in Splietau
gefallen.
Staatsangehörigkeit Österreich. Angehörige Frau Ilse Kugler geb.
Ringer, Wien 12, Liebertgasse 14-3.
Mutter Frau Franziska Webs geb. Kugler, Wien 12, Fichtengasse 9.
Patronentasche mit Namen gab Aufschluß, sonst nichts abgeliefert auf
dem Landratsamt, und zwar durch Lüdemann in Splietau.
Kugler ist bei Splietau mit dem Flugzeug abgestürzt. Die
Erkennungsmarke, die endlich Aufklärung brachte,
wurde vom früheren Bürgermeister Gehrke in Splietau erst am
17.5.1948 übergeben."
Mit freundlichem Gruß
Manfred R. Dannenberg |
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Die letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs werden in
Dannenberg deutlich härter erlebt, als in den Orten, über die auf den
bisherigen Seiten berichtet wurde.
Endlos lange Flüchtlingstrecks erreichen über die Elbbrücke
Dannenberg, bevor die Brücken zerstört werden. Unter den ersten
Flüchtlingen, die aus Ostpreußen kommen, ist der neunjährige
Meinhard Kipplaß. Er hat seinen ausführlichen Bericht mit vielen
verblüffenden Details dieser Website zur Verfügung gestellt.
Wir zitieren hier einige Ausschnitte, besonders vom Bombenangriff auf
Dannenberg und von der unsinnigen Verbarrikadierung deutscher Soldaten
in Nebenstedt.
Die Fotos sind zum Teil nicht aus dieser Zeit. Angaben zu den Fotos
finden Sie mit "mouseover".
Der vollständige Bericht ist sehr lang
und Satz für Satz lesenswert.
Er kann hier
aufgerufen werden
Als Flüchtlingskind in Nebenstedt (pdf)
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Wir schreiben den 7. Februar 1945.
Weiter geht die Fahrt in Richtung Elbe.
´Da ging es gerade links ab nach Dömitz´, bemerkt meine Mutter, und
ehe wir uns versehen, befinden wir uns auf der Auffahrt zur Elbbrücke,
die an dieser Stelle den Strom überquert. Ein Umkehren ist nun nicht
mehr möglich. ´Dann fahren wir eben noch etwas weiter´, entgegnet Opa.
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Nach mehreren Kilometern sehen wir ein Ortsschild mit dem Namen
Seybruch. Ein paar Häuser, und schon ist der Ort hinter uns geblieben.
Hier kann man nicht bleiben. Weiter durch einen Wald, die Allee
entlang. Danach Felder und im Hintergrund eine Kirche und ein Turm mit
abgeflachtem Dach.
´Dort kommt ein größerer Ort, dort bleiben wir´, entscheidet Opa. Ein
gelbes Ortsschild sagt uns, dass wir in dem Ort Dannenberg angekommen
sind. Wegen seiner einen bedeutenden Straße ist der Ort relativ lang und hat
tatsächlich zwei Bahnhöfe, nämlich den Ost- und den Westbahnhof.
Dennoch wundern wir uns, dass Dannenberg eine Kreisstadt ist, denn 18
km entfernt liegt der Ort Lüchow, der auf uns einen größeren Eindruck
macht, als wir einmal mit dem Lkw dort hinfahren. Wie Dannenberg
anscheinend Kreisstadt wurde, erzählt uns eine Einheimische:
Eine Kommission der Regierung sollte entscheiden, welche von beiden
Städten zur Kreisstadt erklärt würde. Bei der Besichtigung vor Ort
hatten sich die Dannenberger etwas ausgedacht. Sie ließen die zu der
Zeit nur wenigen Autos in Dannenberg auf der Straße ständig hin und
her fahren. Dieser Autoverkehr muß die Herren so beeindruckt haben,
dass sie sich für Dannenberg entschieden. |
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Bisher ist der Ort von Kriegsereignissen verschont geblieben.
Regelmäßige Sirenenwarntöne von Fliegeralarmen werden durch die
Bevölkerung nicht sehr ernst genommen. Man weiß, dass die oft zu
Hunderten uns in großer Höhe überfliegenden britischen und
amerikanischen Bomber andere Ziele suchen. Deren Flüge gelten vor
allem Berlin oder den Großstädten in Thüringen und Sachsen. Das Auf -
und Abschwellen von Tausenden Motoren ist fast zur Gewohnheit
geworden.
Es ist ein sehr schöner Märztag. Ich blicke aus dem Fenster unseres
Zimmers und sehe eine Gruppe von Flugzeugen. Vielleicht einige hundert
Meter hoch, überfliegen sie uns in Gruppen von etwa 6 - 12 Bombern,
die bei dieser Nähe jeden schon durch ihr lautes Dröhnen auf sich
aufmerksam machen. Plötzlich öffnen sich unter ihnen die
Bombenschächte und ich sehe Bomben herausfallen, d.h. ich weiß diesen
Vorgang etwas später so zu deuten. Sekunden danach bricht ein Inferno
los, das uns förmlich von den Beinen reißt. Wir werden kreuz und quer
durch den Raum geschleudert. Das Fachwerkhaus schwankt so hin und her,
dass wir jeden Augenblick damit rechnen, direkt getroffen und
verschüttet zu werden. Schreiend versuchen wir nach unten zu gelangen.
Dort angelangt, getraut sich niemand die Haustüre zu öffnen. Nach
kurzer Zeit, für uns jedoch eine Ewigkeit, ist dieser Spuk schon
vorbei. Es mag vielleicht 30 Sekunden gedauert haben.
Als wir die Türe öffnen, dringt Brandgeruch herein und draußen ist
alles nur von Staub umgeben. Eine klare Sicht ist momentan nicht zu
erlangen. Ein etwa gegenüberliegendes Haus ist von der Bildfläche
verschwunden. In unmittelbarer Nähe sind viele Häuser zerstört, und
überall sieht man Menschen, die Tote aus den Trümmern tragen.
Dannenberg ist schwer getroffen worden. Aber warum?
Wahrscheinlich galt der Fliegerangriff der Eisenbahnlinie, die etwa
150 Meter parallel zur Langen Straße verläuft. Die Jeetzelbrücke der
Bahn wurde nicht beschädigt. Es stellt sich heraus, dass 30 Meter von
unserem Haus eine schwere Bombe heruntergekommen ist, die nur deshalb
geringe Schäden angerichtet hat, weil das Gelände um uns herum
sumpfartig ist, und die Fachwerkhäuser durch ihre Elastizität den
Luftdruck durch Schwanken aufgefangen haben.
Da der Bombenangriff für die Alliierten ein strategischer Misserfolg
war, ist nun zu befürchten, dass eine Wiederholung stattfinden wird. |
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Bei
jedem Fliegeralarm verlassen wir jetzt fluchtartig die Stadt. Bis zum
Eintreffen der Flugzeuge, deren Ziel ja nicht vorher bekannt ist,
kommt man allerdings nicht sehr weit. Einer der Wege ist nach Westen
geplant. Als die Flugzeuge erscheinen, sind wir gerade auf der Straße
in Höhe des Westbahnhofs. Es ist mittlerweile dämmrig geworden und auf
den Schienen erkennt man schemenhaft einen langen Güterzug. Wir werfen
uns in den Straßengraben. Neben uns liegt eine ganze Anzahl von
Menschen, die auch nicht mehr weiter aus der Stadt fliehen konnten.
Jemand behauptet, der Güterzug sei mit Munition voll gestopft. Gar
nicht so unwahrscheinlich, denn bei Dragahn, einige Kilometer weiter,
soll ein riesiges Treibstoff - und Munitionslager unterirdisch
vorhanden sein.
Beim Brummen der Flugzeuge schiele ich ängstlich auf
den Güterzug und stelle mir vor, was bei einem Treffer von uns übrig
bliebe. Seit dem letzten Bombenangriff brauche ich mich in solch einer
Situation um einen guten Stuhlgang nicht mehr zu sorgen.
Entwarnung. Es ist Gott sei Dank nichts passiert, die Flugzeuge sind
über uns hinweg geflogen.
Wir wollen nun nicht mehr in Dannenberg bleiben. Aber wie soll man in
dieser Zeit eine andere Unterkunft finden? |
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Der Bürgermeister von Nebenstedt, der in der Nähe des wohnt, wird
bedrängt, uns dort eine Unterkunft zu vermitteln. Nach wenigen Tagen
ziehen wir in unsere neue Bleibe. Unsere neue Wohnung besteht aus
einem Zimmer mit einer kleinen Kammer. Das schon etwas ältere
Fachwerkhaus ist ganz nach Art der Landschaft gebaut worden. Es ist
nicht so groß, wie die im Ort vielleicht 15 Bauernhäuser.
Nebenstedt ist bisher unversehrt und gibt uns nach dem Bombenangriff
ein Gefühl hoher Sicherheit.
Unsere Wirtsleute haben in ihrem Haus nicht sehr viel Platz. Ihre
Wohnung besteht aus einem Wohnzimmer, einer Schlafkammer für die Oma,
einem Schlafzimmer und einer großen Küche. Außer den Räumen, die wir
bewohnen, existiert noch ein Zimmer oben auf dem Heuboden. Übrigens
werden hier alle Schlafräume als Kammer bezeichnet. Das Leben spielt
sich überwiegend in der Küche ab.
Das Wohnzimmer wird selten benutzt.
Die Oma hält sich öfter darin auf, um mit dem Spinnrad Wolle zu
spinnen, wenn sie diese Arbeit nicht direkt bei den Bauern vornimmt,
die sie für diesen Zweck tageweise einstellen, um ihre Schafwolle
abzuarbeiten. Dann ist sie für Tage außer Haus.
Sie sind über unsere Zwangseinquartierung nicht gerade erfreut. Meine
Mutter kann sich jedoch bald mit der etwa gleichaltrigen Frau
anfreunden. Ihr Mann ist vermisst und sie hat viel Zeit zum Klönsnack.
Aber auch die Oma ist schon nach einigen Tagen, in denen wir uns
besser kennen lernen können, sehr freundlich zu uns. Es sind also
nette Leute.
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Oben
auf dem Dach haben sich Störche ein Nest gebaut. Das Einzige in
diesem Dorf.
Nur ein Bauernhaus in der Mitte des Dorfes unterscheidet sich von
den anderen. Es macht einen wesentlich gediegeneren Eindruck.
Die wenigen ´moderneren Wohnhäuser´ sind von einheimischen
Nichtbauern gebaut worden. Sie haben roten Klinkerstein und sind
auch schon besser gegen Kälte abgeschirmt.
Eines der wenigen Telefone im Ort besitzt die Familie L. am Eingang
von Nebenstedt. Sie sind auch für alle Postfunktionen zuständig. Z.
B. können Telegramme aufgegeben und angenommen werden.
Eugen wird am Ende des Dorfes bei einer anderen Familie
untergebracht. Es ist erstaunlich, dass er jetzt im Krieg als
Kriegsgefangener relativ viel Freiheit genießen kann.
Unsere Vermieter besitzen eine Kuh, die in einem Stall hinter dem
Haus untergebracht ist. Sie heißt Ella. Dazu kommen ein Schwein, ein
Schaf, einige Hühner und Kaninchen und ein großer Garten. In den
Stall ist auch das Plumpsklo eingebaut, in dem zu handlichen Stücken
geschnittene Zeitungen auf einem Haken zur Bedienung aufgehängt
sind.
Links neben dem Stall ist ein Ziehbrunnen vorhanden, aus dem, wie
damals im ganzen Dorf üblich, das Wasser mit einem Eimer geschöpft
wird. Die Umlenkrolle des Brunnens ist eine alte Fahrradfelge, die
aus Platzgründen sicher irgendeinmal den Ziehbalken abgelöst hat,
der im Ort ab und zu auch noch zu entdecken ist.
Wen kümmert´s zu dieser Zeit, dass die Jauchegrube nicht sehr weit
entfernt liegt, und das Grundwasser manchmal bei Hochwasser schon
bei Spatentiefe hervortritt. Daneben werden auch noch ein paar
Felder mit Kartoffeln und Roggen bepflanzt. Das alles ist jedoch
überwiegend für die Eigenversorgung gedacht.
Die Leute hier sprechen alle Plattdeutsch, an das wir uns erst
gewöhnen müssen. Mein Opa versteht es am besten, weil er in seiner
Jugend als Wandergeselle eine Zeit in Lüneburg gelebt hatte.
Von unserem Fenster ist die Allee zwischen Dannenberg und der
Elbbrücke einzusehen. Auf diese Distanz von etwa einem km ist der
aus dem Osten nun anrollende Treck gut zu beobachten. Es ist ein
langer Zug von Pferdegespannen mit manchmal darüber gespannten
Zeltplanen, der sich Tag und Nacht über die Straße quält.
Sie sind mittlerweile heil und glücklich über die Elbe gekommen. Ab
und zu kommen Tiefflieger, deren Maschinengewehrsalven zu hören
sind, wenn sie die Trecks auf der Straße beschießen.
In Nebenstedt und den anliegenden Dörfern, wie Splietau, Groß- und
Klein Gusborn, Damnatz und Breese sind alle freien Räume
mittlerweile mit Flüchtlingen besetzt.
Es entstehen heiße Diskussionen, wie lange der Krieg noch dauern
könne. Das von den Alliierten unbesetzte Deutschland besteht im
Norden nur noch aus kleinen Teilen Mecklenburgs und einem Teil der
Gegend westlich von uns. Der Rest Deutschlands ist schon in der Hand
der Alliierten. Es kann bis zum Kriegsende nicht mehr lange dauern.
Dennoch gibt es einige Fanatiker, die an den Endsieg glauben. Einige
versprechen sich etwas von angeblichen Wunderwaffen.
Manchmal werden wir durch erdbebenartiges Dröhnen wach, wenn das 139
km entfernt liegende Hannover bombardiert wird. Es werden dort ganze
Bombenteppiche gelegt.
Die Gefahr eines Bombenangriffs ist auf dem Dorf nicht sehr groß, aber das
hat man in Dannenberg auch gedacht. Wer kann schon garantieren, dass
hier nichts passiert, zumal der Ostbahnhof nur rund einen Kilometer
entfernt liegt.
Immer wieder beobachten wir Tiefflieger, welche die Allee nach
Dannenberg mit ihren MG-Salven beharken. Von deutscher Abwehr ist
nicht mehr viel zu sehen.
Einen Luftkampf verfolge ich in dieser Zeit mit eigenen Augen, als
ein deutsches Flugzeug sehr niedrig über unser Haus hinweg zieht und
von einem amerikanischen Jäger verfolgt wird. Der Amerikaner
beschießt den Deutschen mit MG-Salven, und das deutsche Flugzeug
stürzt noch in Sichtweite brennend in der Nähe des Splietauer
Friedhofs ab.
Mit mehreren Kindern laufen wir zu der etwa einen Kilometer
entfernten Absturzstelle. Das deutsche Flugzeug liegt total zerstört
und rauchend in der Nähe des Splietauer Friedhofs. Der Pilot konnte
sich nicht retten und befindet sich tot in der Flugzeugkanzel. Als
wir uns dem Wrack nähern wollen, werden wir von dem mittlerweile
auch angekommenen Dorfgendarmen weggescheucht.
Wir Kinder haben viel Zeit, denn der Schulbetrieb ist in diesen
Kriegswirren schon lange eingestellt. Darüber sind wir nicht sehr
traurig, kann man doch hier auf dem Land nicht über Langeweile
klagen.
Dieses Frühjahr 1945 hat viele schöne Tage. Daher kann ich die uns
nach Berlin überfliegenden amerikanischen Flugzeuge nicht nur hören,
sondern auch sehen. Ich lege mich oft auf den Boden und zähle mit
Blick nach oben die immer in Gruppen fliegenden Maschinen, die von
der Sonne angestrahlt, als hell leuchtende Punkte gut zu erkennen
sind.
Die vielen Motoren erzeugen ein Auf- und Abschwingen von tiefen
Tönen.
Es ist mir unheimlich, auch wenn sie sehr hoch fliegen. Ich komme
beim Zählen manchmal auf über 800 Bomber, und gebe das Zählen dann
auf.
Nebenstedt ist zur Jeetzel nach Süden hin durch einen Deich
gesichert, der von Dannenberg bis weit hinter Splietau das Land
zwischen Jeetzel und Elbe gegen Hochwasser abschirmen soll.
Hinter diesen Deich ziehen wir bei Fliegeralarmen, um uns in den
dahinter befindlichen Eichenwäldern zu verstecken. Es treffen sich
an dieser Stelle immer einige Leute aus dieser Gegend, die uns
völlig unbekannt sind.
Eine Frau aus Hamburg, die dort von Flugzeugen ausgebombt wurde, ist
durch ihre Erlebnisse so hysterisch geworden, dass sie uns ständig
ermahnt, nicht zu sprechen, da die Flugbesatzung alles hören und uns
somit orten könne. Sie versteckt sich hinter dicken Baumstämmen,
damit die Piloten, die in großer Höhe fliegen, sie nicht sehen
können.
Am 20. April, es ist der Geburtstag von Adolf Hitler, fliegen wieder
einmal Flugzeuge, diesmal allerdings nicht so hoch, über uns hinweg.
Nach kurzer Zeit hören wir, etwas entfernt östlich von uns,
Bombeneinschläge.
Es scheint dies ein intensiver Angriff zu sein und
kann, der Richtung nach, nur den Elbbrücken gelten. Opa bemerkt spöttisch, es sei das Geburtstagsgeschenk der Amerikaner
oder Engländer an den Führer.
Bald erfahren wir, dass beide Elbbrücken zerstört sind. Damit ist
nun die Verbindung zum Osten von Dahlenburg im
Norden bis Wittenberge im Süden für lange Zeit für Fahrzeuge und
Bahn unterbrochen.
Die Grausamkeit des Krieges wird uns praktisch vor der Tür vor Augen
geführt, als ein deutscher Hauptmann, der wohl immer noch fanatisch
an den Endsieg glaubt, mit sechs polnischen Gefangenen vorbeizieht,
viel herumschreit und sie aus uns nicht bekannten Gründen mit seiner
Pistole erschießt.
Überhaupt wimmelt es jetzt von Soldaten und Flüchtlingen, die jeden
freien Wohnraum im Dorf zugewiesen bekommen.
Man sieht jetzt viele fliehende Soldaten. Der Menschenzug aus dem
Osten hat durch die zerstörten Elbbrücken aufgehört, durch
Dannenberg zu ziehen.
Eines Tages sind Schießereien in der Nähe zu hören, die darauf
schließen lassen, dass die Amerikaner nicht mehr weit sein können.
Wir beschließen in einen Keller zu gehen, der am Ende des Dorfes
liegt und eine Betondecke besitzt. Vor den Kellerfenstern sind
Sandsäcke aufgehäuft, so dass Gewehrkugeln nicht durch die Fenster
eindringen können.
Opa ist nicht mitgegangen, er will die Befreiung durch die
Amerikaner bewusst nicht in einem Kellerloch erleben. Wie sich dann
später herausstellt, hat ihn das zweimal beinahe das Leben gekostet.
Offensichtlich glaubt er, dass ihm in den letzten Stunden des
Krieges überhaupt nichts mehr passieren kann.
Der Keller ist überfüllt mit vielen Dorfbewohnern. Irgendwo finden
wir eine Ecke, in der wir uns niederlassen können.
Es wird unter den Anwesenden viel diskutiert, wie sicher so ein
Keller ist. In die Decke sind leichte Stahlträger eingelassen, die
für einige schon eine garantierte Lebensversicherung bedeuten, so
meinen sie wenigstens. Es dauert gar nicht lange, da hört man
draußen das Pfeifen von vielen Kugeln und ständig Kampfgeräusche,
die den meisten unter uns fremd sind, da sich hier nur
Zivilpersonen aufhalten.
Weil in dieser Situation in Deutschland niemand mit großen
Kampfhandlungen gerechnet hat, es ist ja im Osten von uns praktisch
kein unbesetztes Deutschland mehr vorhanden und hier stehen schon
die Amerikaner, sind wir sehr erstaunt, wer hier noch auf deutscher
Seite kämpft. Die paar Meter bis zur Elbe können auch für fanatische
Generäle keinen Wert mehr haben. Wer will denn als Soldat für diese
paar Quadratkilometer, die in dieser Ecke noch unbesetzt sind, sein
Leben lassen? Die Kämpfe dauern noch Stunden und verständlicherweise getraut
sich niemand nach oben zu gehen, um einen Blick nach
draußen zu werfen.
Es ist bekannt, dass die Amerikaner bei Gegenwehr sehr viel
Material, statt Menschen einsetzen. Wie mag es dann in dem Dorf wohl
jetzt schon aussehen?
Einige junge Frauen haben sich bei den Alten unter deren Rock
versteckt.
Nach Stunden hören wir über uns Schritte, und plötzlich stehen die
ersten Amerikaner vor uns. Sie suchen nach deutschen Soldaten. Es
gibt hier keine. Darauf holen sie sich ein 14-jähriges Mädchen nach
oben, um es zu vergewaltigen.
Aus dem Keller traut sich keiner heraus.
Es dauert gar nicht lange, und Opa steht vor uns.
Er hat einen amerikanischen Soldaten bei sich, mit dem er hierher
gekommen ist. Sozusagen als Leibwache. Wie er das geschafft hat,
wissen wir nicht. Der nimmt kurzerhand unseren Koffer in die Hand,
und wir marschieren mit beiden durch das Dorf nach Hause. Den
Amerikaner an unserer Seite, fühlen wir uns sehr sicher. Aber wie
sieht hier alles aus.
Viele Bauernhäuser sind nur noch Trümmerhaufen, aus denen Rauch und
teilweise noch Flammen schlagen. In einigen Ecken stehen Panzer und
auf der Straße, den Wegen und Feldern liegen haufenweise leere
Patronenhülsen herum. Der Brandgeruch geht uns nicht aus der Nase
und wir sind jetzt nach diesen Eindrücken doch verängstigt. Opa
scheint sich jedoch mit unserer Leibwache gut zu verstehen und macht
trotz der Umstände einen fröhlichen Eindruck.
Als wir bei uns zu Hause anlangen, bemerken wir, dass die Haustüre
von den Kämpfen etwas demoliert wurde. Zwei große Einschusslöcher mit
zersplittertem Holz und eine dahinter stehende Wäscherolle, die
diese Schüsse ebenfalls abgekommen hat, zeugen davon.
Als wir unsere Zimmertüre öffnen, erblicken wir viele Menschen. Es
kommt uns so vor, als wäre das ganze Dorf hier versammelt. Einige
liegen in unseren Betten und wir wissen nicht, wo für uns noch ein
Plätzchen frei ist. Es sind dieses alle diejenigen Leute, deren
Häuser abgebrannt sind.
Eine Frau, die in einem der Betten liegt, ist eine Bäuerin im Dorf.
Deren Haus ist das schönste und größte im Ort und sticht die anderen
Häuser durch seine Bauart aus. Das muss den Amerikanern ebenfalls
aufgefallen sein, denn sie haben sich darin sofort wohnlich
niedergelassen. Die anderen noch stehenden Häuser sind ebenfalls zum
größten Teil nicht von den Amerikanern verschont geblieben, so dass
für die Deutschen kaum noch Platz übrig bleibt. Jetzt sind sie
zunächst selber als ´Flüchtlinge´ bei Flüchtlingen untergekommen.
Dass unser Haus noch steht, ist Opa zu verdanken. Gegen Ende der
Kämpfe hat er im Hof seine Nase nach draußen gesteckt und bemerkt,
dass sich durch den Garten ein Panzer mit hoher Geschwindigkeit dem
Haus näherte. Offensichtlich wollte er das Haus umwalzen. Todesmutig
stellte Opa sich in die Fahrrichtung und der Panzerführer hielt sein
Fahrzeug an.
Wir bewundern nun die in den Sand tief eingegrabenen Panzerspuren,
die bis kurz vor das Haus führen. Ob dieses Verhalten von ihm sehr
überlegt war? Sicherlich nicht.
Seinen Schutzengel hatte er kurz davor schon einmal getestet, als er
noch bei den Kampfhandlungen vor die Haustüre schaute, um die Lage
zu peilen. Es wurde viel um ihn herum geschossen. Als er deshalb
schnell wieder hineinging, hatte er kurz vorher wohl als Zielscheibe
gedient. Wenige Sekunden später pfeifen zwei Kugeln größeren
Kalibers heran. Sie durchschlagen die Haustüre, und die seitlich
dahinter stehende Wäschemangel erhält auch davon etwas ab. Wir
können nachträglich die Einschüsse an der zersplitterten Türe
bewundern. Ein Gussteil an der Mangel ist abgesprungen, ohne dass
deren Funktion beeinträchtigt wird.
Das Problem mit unseren Mitbewohnern löst sich, weil sie sich
besinnen, dass wohl bei dem Rest der einheimischen Bevölkerung, die
in ihren Häuser bleiben darf, eine geräumigere Bleibe zu finden ist.
Die Freude, dass der Krieg für uns zu Ende ist, wird etwas gedämpft.
Jetzt beginnen die Deutschen nämlich mit Artillerie in das Dorf
hineinzuschießen. Also gehen wir mit allen Hausbewohnern in den bis
dahin verschmähten Keller unter unserem Zimmer.
Die Granaten fliegen genau über unser Haus, was man an deren Heulen
gut feststellen kann. Die Männer bemerken, dass, solange man dieses
Heulen noch hören kann, keine Gefahr besteht. Wir können auch die
Einschläge vernehmen, die in die Felder Richtung Dannenberg
niedergehen. Doch das Pfeifen der Granaten wird merklich kürzer, und
die Einschläge kommen näher. Während das Heulen am Anfang vielleicht
1 - 2 Sekunden dauerte, ist es jetzt nur noch eine halbe Sekunde
lang. Die Einschläge werden lauter und lauter.
Dann scheint der deutschen Artillerie die Munition auszugehen. Es
bleibt still. Nach einiger Zeit gehen wir beruhigt wieder nach oben.
Es ist Ruhe eingetreten.
Die Trümmer im Dorf brennen und qualmen noch tagelang. Wer sollte
hier auch löschen kommen?
Es ist erstaunlich, was die amerikanischen Soldaten alles an
Lebensmitteln zur Verfügung haben. Man findet auf der Straße
benutzte Dosen und Verpackungen mit allem möglichen, für uns
ungewohnten Leckereien. Kaffee, Fleisch, Kaugummi scheinen im
Überfluss vorhanden zu sein. Ab und zu liegen diese Waren auch
unbenutzt herum, und wir Kinder suchen eifrig nach diesen
Kostbarkeiten. Wenn wir Glück haben, kriegen wir von den Soldaten
ein Stück Schokolade geschenkt.
Das Leben ist zwar recht primitiv, doch genießen wir nun die Zeit,
weil die Angst vor den unmittelbar mit dem Krieg zusammenhängenden
Ereignissen uns nicht mehr drückt. Auch braucht man sich vor den
Nazis nicht mehr vorzusehen und kann frei reden.
Die Amerikaner halten sich relativ lange in diesem Dorf auf. Es soll
eine Strafkompanie sein, die gerade in Nebenstedt gelandet ist.
Manchmal kommen sie einfach ins Haus, um sich ihr Essen in der Küche
warm machen zu lassen. Sie sitzen auf ihren Stahlhelmen im Flur und
in der Küche und lassen es sich schmecken.
Der ehemalige Bürgermeister von Nebenstedt wohnt in der Nähe vom
Ostbahnhof. Er ist ein älterer lieber Mensch, der keiner Fliege
etwas zu leide tun kann. Als die Amerikaner nun einmarschiert sind,
suchen sie ihn auf, um festzustellen, ob er ein Nazi sei. Natürlich
hatte er in seiner Stellung ein Parteiabzeichen besessen. Als sie es
entdecken, bemalen die Amis in seiner Wohnung die Tapeten mit
Hunderten von Hakenkreuzen. Obwohl es in seiner Gemeinde eine Menge
von Nazis gab, stellt er nun resigniert fest:
´Ich bin der Einzige, der hier ein Nazi gewesen ist´.
Kein anderer wollte sich an seine Vergangenheit erinnern.
Es kursiert hier ein Gerücht, dass auch unser Kreis bald von den
Russen übernommen wird. Die Bevölkerung lebt deshalb ständig in
Angst, dass sich das alles bald bewahrheiten möge. Leute erzählen,
es seien nachts schon einige Russen über die Elbe gekommen und
hätten Frauen vergewaltigt und andere schreckliche Dinge
angerichtet.
Dieses Thema beschäftigt alle sehr intensiv. Es wird über nichts
anderes mehr gesprochen.
Irgendwann im Mai erfahren wir, dass der Krieg beendet ist. Dönitz, der
Nachfolger von Hitler, hat die Kapitulation unterschrieben.
Alle Menschen können nun aufatmen. Doch was soll die Zukunft
bringen? |
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(Seite erstellt Januar 2007) |
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