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Nachkriegszeit in Nauden

Aus der Familienchronik von Heinrich Wolter, Nauden  

 

 Nauden 1900
 Nauden 1920
 Nauden 1945

 

 
Heinrich Wolters früheste Erinnerungen drehen sich besonders um die Flüchtlingsfamilien, die 145 nach Nauden kommen und die Einwohnerzahl verdoppeln. Die Kinder freunden sich schnell an und mit dem erhöhten Potential an Fantasie wird allerhand Schabernack ausgeheckt. Der wendländisch hintergründige Humor zieht sich auch durch die weiteren Aufzeichnungen von Heinrich Wolter.

Familie Wolter in den 1940er Jahren: Die Eltern Heinrich und Luise sowie die Kinder Marie-Luise und Heinrich jun.

 
Heinrich Wolter (jun.) erzählt aus seiner Kindheit
"Ich kann mich noch an einen Kriegsgefangenen erinnern, der jeden Tag zu uns zur Arbeit kam. Nachts musste er zurück nach Schreyahn. wo auf dem Saal der Gastwirtschaft ein Lager war. Er hieß Desiree Herremans und war Lehrer in Aalst (Belgien). Da er aus der Region Flandern kam, wo die Sprache unserem Plattdeutsch ähnelt, konnte man sich auch verständigen. Wir mochten ihn alle gern. Nach seiner Rückkehr in die Heimat hat er uns Kindern jedes Jahr zu Weihnachten ein Päckchen mit leckerer Schokolade geschickt. Wir haben uns immer riesig darüber gefreut.
Familie Herremans aus Belgien zu Besuch in Nauden
In den 50er Jahren hat er uns dann zweimal mit seiner Frau Lina und den 4 Kindern (3 Jungs, der Älteste war so alt wie ich und 1 Mädchen) besucht. Sie blieben jeweils eine Woche. Der Mann hat meinem Vater geholfen, die Frau im Haushalt und wir Kinder haben gespielt.
'Besonders dankbar war er Tante Marie . Sie hatte ihn als Kriegsgefangenen ihr Fahrrad geliehen, was streng verboten war, aber er konnte zur Kirche fahren und für seine Heimkehr beten."
 
Zu den vielen Flüchtlingen gehörte der junge Kurt Rommel. Er war von der Front geflohen und wusste nicht, wo seine Familie war. Er hatte nichts gelernt und war froh, bei uns arbeiten und essen zu können. Er war mit 17 Jahren eingezogen worden. Bei uns wurde er für die Stallarbeit eingestellt und konnte gut mit den Tieren umgehen.

Sein Vater war Verwalter auf einem Gut in Ostpreußen gewesen. Er hat seine Familie durchs Rote Kreuz suchen lassen, aber solange er bei uns war nicht gefunden.
Kurt hielt sich Kaninchen. Er hatte bald um die 40 Stück.

 
Kurt Rommel mit dem Zuchtbullen

Es war die Zeit des Tauschhandels. Am Sonntag waren wir Kinder oft mit Kurt unterwegs. Er hatte zwei geschlachtete Kaninchen im Rucksack und wir gingen zur neuen Grenze. Da waren die Russen auf  Wache, junge abgemagerte Männer. Sie waren aber sehr freundlich, für uns Kinder hatten sie immer etwas in ihren Taschen. Mit Händen und Füßen wurde diskutiert und die Kaninchen gegen Zigaretten und Alkohol eingetauscht. Das ging so, bis dann die Vopos kamen. "Diese arroganten Bubis" wie Kurt immer sagte.  Er ist dann nicht mehr hingegangen.
 
 


Bürgermeister Heinrich Wolter

  Mein Vater war damals Bürgermeister in Nauden und musste viel Schreibkram erledigen. Ich saß dann auf seinen Schoß und durfte Stempel drücken auf  Anmeldungen und Anträge für Hilfen an Geld, Möbel, Kleidung. Denn die Leute kamen mit 100 Mark Anfangshilfe aus dem Flüchtlingslager, das reichte knapp für 1 Woche Lebensmittel zu kaufen.

Weitere  Flüchtlinge im Haus Wolter: Frau Kohr mit Tochter Hannelore, die war 2 Jahre jünger als ich. Dann Kurt Drewes mit Frau und Sohn Rüdiger, der war in meinem Alter und wurde mein bester Freund. Diese Familie ist 1950 ausgewandert nach Kanada.
Dann noch eine Familie Drews mit 2 erwachsenen Kindern.
Wir wohnten also mit 15 Personen in unserem alten Wohnhaus. In Nauden wohnten damals 34 Personen davon 13 Kinder.

 Vater Drews hatte ich gleich sehr gern er war 60 Jahre, klein, etwas rundlich, hatte eine Glatze, rauchte Pfeife und war immer lustig. er hat meinem Vater damals viel gehoffen zB. die ganzen Fahrten zur Bahn nach Wustrow Zuckerrüben und Kartoffeln verladen, Dünger und Schnitzel holen, ich bin immer heimlich mitgefahren. Es war einfach zu interessant auf dem Bahnhof.

Der Bahnhofsvorsteher hieß Stier und kam auch aus Pommern, seine Frau hatte die Bahnhofsgaststätte unter sich. Zum Frühstück gingen wir ein Bier trinken, ich bekam einen leckeren Kakao. Auf dem Nachhauseweg bekam ich dann noch zwei Rundstücke vom Bäcker gekauft.

Vater Drews musste auch für alle Brennholz holen aus unseren Wald in Beutow. Einmal durfte ich mit fahren, dick eingemummelt gings los, der Weg war schlecht und doppelt so weit wie nach Wustrow aber Vater Drews hatte immer was zu erzählen und so merkte man den langen Weg gar nicht. Im Holz angekommen war schon ein Gespann aus Beutow da, der Mann musste beim sägen helfen und bekam dafür Brennholz. am späten Nachmittag waren beide Wagen beladen, unsere beiden Pferde zogen den hochbeladeten Wagen ruck zuck bis auf den festen Weg. nur dem Beutower seine Pferde wollten den halb vollen Wagen nicht ziehen. Da meinte Vater Drews zu dem Mann, er sollte man schon bis zum Weg gehen ich komm mit dem Gespann nach. Als er weg gegangen war nahm er eine Handvoll Stroh aus dem Sitzkissen, zu mir sagte er hallt dich ordentlich fest, dann zündete er das Stroh an und hielt es den Pferden an den Hintern und los gings.  Der Beutower staunte nicht schlecht und meinte so doll haben meine Pferde noch nie gezogen.

 
 

Aber auch zu Hause hatte Vater Drews zu tun, denn jede Familie hatte einen Garten und einen Teil vom Schuppen für sich, er hatte einen Teil seines Gartens immer mit Tabak und im Stall 4 Schafe, wenn die draußen waren traute sich keiner auf den Hof der Bock nahm jeden auf die Hörner, nur vor Kurt Rommel hatte er Respekt der hatte sich einmal auf seinen Rücken gesetzt und war wohl 10 mal auf dem Hof rumgeritten bis der Bock mit zitterneu Beinen stehen blieb wir Kinder haben uns halb kaputt gelacht.

Wir waren immer 8 Personen am Tisch denn Vater und Mutter Drews haben auch bei uns gegessen. Bei Heu-, Rübenernte und Kartoffelernte waren es ofl 12 Personen. Alle 14 Tage hat mein Vater den großen Backofen in der Schweineküche angemacht, dann wurden 10 Brote und einpaar Bleche mit Apfel und Butterkuchen gebacken. Auch die Flüchtlinge und Nachbarn brachten gern etwas zum Backen Mit der Restwärme wurde dann ein Blech Butterkuchen zu Bröcken gemacht. Für uns Kinder war es immer ein Festtag . Später kam dann auch der Bäcker Plette aus Wustrow mit seinem Wagen vor dem war ein Pferd gespannt. Wir warteten an der Bachbrücke auf ihn, wir konnten uns dann einpaar Bonbons verdienen, denn das Pferd wollte nicht über die marode Holzbrücke gehen.

 


Heinrich Wolter am Sonntag


Luise Woltr

 
 
 


Marie Wolter

  Auch meine Tante Marie, die das Federvieh unter sich hatte, haben wir oft geärgert. Einmal haben wir den Hahn, ein Stolzer Rodeländer, mit in Wodka getauchtem Semmel gefüttert. Er hat dann so komisch gekräht und ist immer hingefallen. Mittags gab´s Hühnerklein. Meine Tante meinte, der Hahn müsse krank gewesen sein, da hat sie ihn geschlachtet.

Einmal haben wir im Wald hinter unserm Garten Indianer gespielt mit Lagerfeuer. In einer alten Bratpfanne wollten wir Spiegeleier braten, dazu haben wir uns aus dem Hühnerstall ein paar geholt, die sahen in der Pfanne so komisch aus. Da hat der Hund sie gefressen. Später hörte ich wie meine Tante sagte: Der Marder war im Stall und hat der Glucke alle Eier weg genommen.


Wir haben aber auch Nützliches gemacht zB : Mutterkorn für die Apotheke gesammelt, Silberpapier oder Marken von Lebensmitteln auch Eisen vom Kalibergwerk. Dadurch haben wir uns manche Mark verdient.

Zur Schule bin ich nicht gern gegangen. Als ich eingeschult werden sollte hat Vater Drews gemeint, du bist schlau genug. Dein Vater bringt einen Bullen zum Lehrer, dann brauchst du nicht hingehen.
 

 


Einschulung in der alten Schule von Lensian

Die Schularbeiten hab ich immer in der Stube gemacht da hat mein Vater einen kurzen Mittagsschlaf gehalten. Öfter setzte sein Schnarchen für längere Zeit aus, dann hab ich gedacht jetzt musst du ihn aufwecken sonst geht er tot aber dann kam ein tiefer Schnarcher und er war wach . Bei mir haben die Schularbeiten nur eine ne halbe Stunde gedauert , dann war ich draußen, Rüdiger hat immer 1-2 Std über den Büchern gesessen, hatte aber auch keine bessere Noten. In meinem Zeugnis stand meistens unter Fleiß eine 5 und handschriftlich dazu: Seine schulischen Leistungen entsprechen nicht seiner Intelligenz.
 


Schüler und Lehrer vor der neuen Schule in Lensian

 

Wir sind in dem Jahr in eine neu gebaute Schule in Lensian umgezogen. Mit den Lehrern Luders und Kühn verstanden wir uns gut. Kühn ist nach der Schließung der Schule 1960 Lehrer an der Mittelschule (Realschule) in Lüchow geworden.

Ich sollte ja auch wie meine Schwester zur Mittelschule nach Clenze gehen. Beim Test hab ich mich so dumm gestellt, dass die Lehrer abgeraten haben. Keiner von meinen Kameraden wollte da hin und ich auch nicht.

Bei Schulzens wohnte auch eine Familie Könnecke mit den Zwillingen Jens und Elke, die waren in meinem Alter und sind mit Rüdiger und mir eingeschult worden. Wir gehörten ja eigentlich nach Bülitz, 5 km Fahrt. Aber nach Lensian waren es nur 2 km und deshalb waren wir Gastschüler in Lensian. Zu uns gehörte auch noch Lothar Pilgrim aus den Schachthäusern in Schreyahn, der war auch meistens in Nauden.


Lehrer Horst Kühn

Wir 5 Kinder haben auch allerhand Unfug getrieben. Zum Beispiel hatten  Bartmanns noch keine Melkmaschine und sind mit dem Handwagen, auf dem das Melkgeschirr stand und vor den ihr Hund Bobbi gespannt war, zum Melken auf die Weide gefahren. Am Weg, der sehr uneben war, stand eine dichte Dornenhecke. Eines Tages steckten wir eine Katze in einen Sack und versteckten uns hinter dem Gebüsch. Als Bartmanns Oma bis auf 10 m ran war, schüttelten wir die Katze kräftig im Sack und ließen sie über die Straße rennen. Der Hund mit Wagen hinterher da flogen die Milchkannen aber.
 
 


1952 haben wir uns wieder ein Auto, einen DKW, gekauft.

Bis 1952 waren auch alle Flüchtlingsfamilien weg gezogen. Nur Lothar Pilgrim ist in Schreyahn geblieben und wir waren fast immer zusammen er hat mich auch als er später in Wolfsburg wohnte öfter besucht. Bei uns wohnten dann andere Familien: Teßmanns mit 2 Kindern und Siegfried Rogalski mit Frau und 2 Kinder. Siegfried hat in der Landwirtschaft geholfen, später ist er nach Heidelberg gezogen und war bei der Bahn beschäftigt, er hat uns noch oft besucht. Ab meinem 8 Lebensjahr musste ich auch schon mehr helfen, im Sommer Garben zusammen tragen (wir hatten schon einen Mähbinder) oder Kühe holen, im Winter Runkeln putzen, beim Stricke drehen helfen oder mit Papa Weiden schneiden in einer Plantage bei Luckau zum Körbe flechten.

 
 

Reisen in die russische Besatzungszone zum Heimatdorf der Mutter

Die beiden Schwestern Tante Magdalene und meine Mutter sind ein paar Mal schwarz über die Grenze um ihr Elternhaus in Tripkau zu besuchen. Tripkau liegt gegenüber von Hitzacker auf der anderen Seite der Elbe. Über die Elbe konnten sie aber nicht kommen, die Brücke bei Dömitz war kaputt. Deshalb mussten sie nach Lübbow, um auf einen so genannten Schleuser zu warten. Wenn die Streife weg war, ging es auf Schleichwegen nach Salzwedel zum Bahnhof. Von hier mit der Bahn nach Wittenberge, dort umsteigen und weiter nach Ludwigslust, hier wieder umsteigen nach Dömitz, von dort holte ihr Bruder sie ab. Wenn alles gut klappte, waren sie von 6.00 bis 22.00 Uhr unterwegs.

Später als der Grenzzaun schon war, ich war 11 Jahre, bin ich mit meiner Mutter einmal drüben gewesen, das war alles sehr aufregend. Ich hatte Sonntagszeug an, in den Schuhen konnte ich aber nicht gehen, denn einer war höher als der andere. Da kam heraus, dass meine Mutter zehn 10 DMscheine unter der Einlegesohle versteckt hatte. Einen großen Schein konnten sie drüben nicht wechseln und uns Kinder würden sie an der Grenze wohl nicht filzen. Die Scheine wurden nun in beide Schuhe verteilt. Dann ging es mit der Bahn von Uelzen nach Lauenburg / Boitzenburg. Hier an der Grenze war Kontrolle. Koffer und Handtasche aufmachen, den Mantel und die Schuhe musste meine Mutter auch ausziehen. Ich fing schon an zu Schwitzen. Zum Glück haben sie mich in Ruhe gelassen. Der mitgenommene Kaffee musste verzollt werden, dann gings weiter nach Hagenow, wo Onkel Heinrich uns abholte. Auf der Fahrt nach Tripkau wieder Kontrolle, wir kamen in die 10 km Sperrzone. Ich war von der Reise nicht begeistert, alles sah so verkommen aus und überall wurde getuschelt, es könnte ja ein Spitzel in der Nähe sein. Nicht mal ein vernünftiges Fahrrad hatten sie. Einmal hab ich etwas kräftiger in die Pedalen getreten, da ist die Kette gerissen. Ich hab einen Anraunzer bekommen. Aber kann ich es wissen, dass die Kette aus Gusseisen ist? Nachts wurde der Hund rausgelassen, wenn sie Westfernsehen geguckt haben, es könnte ja jemand am Fenster lauschen. Ich war froh, als wir wieder zu Hause waren.

Später als sie Rentner waren, haben Onkel Heinrich und Tante Gertrud uns öfter besucht. Da hat er mal einen Witz erzählt:
Honnecker drohte beim Baden in der Ostsee unter zu gehen, eine junge Frau rettete ihn. Da meinte er, sie möge sich was wünschen. Darauf die Frau: Ach Herr Honnecker, machen sie doch für einen Tag die Grenzen auf. Darauf er:  Oh, Sie sind aber eine ganz Schlimme. Sie wollen wohl mit mir alleine sein.

 
 

 


In Wustrow beobachten wir wieder die Familie von Ernst Wolter (keine Verwandtschaft zu Wolters in Nauden).

  Wustrow 1945-1960
 

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